In der Wüste stiehlt man nicht

Kurzkrimi

Das tiefe Röhren der 210 PS seines staubig silbergrauen Ford Mustang beruhigte Winny ungemein. Es gab ihm das sichere Gefühl, frei zu sein. Sollten die Bullen doch versuchen, ihn zu schnappen. Solange genug Sprit im Tank war, hatten sie keine Chance. Winny war ein exzellenter Fahrer. Als er das Ortsausgangsschild von Willard Creek vor sich sah, trat er das Gaspedal des Mustangs voll durch. Erst bei 120 Meilen pro Stunde fühlte er sich wirklich gut.

Als die Tachonadel den Punkt seines größtmöglichen Wohlbefindens erreicht hatte, lehnte er sich entspannt zurück. Noch 75 Dollar in der Tasche, damit würde er nicht einmal ganz durch Arizona kommen. Abseits der Interstate 17 wollte er runter nach Yuma und dann weiter nach Mexiko. Doch er brauchte etwas mehr Geld, um seine Tankanzeige bei Laune zu halten. War da nicht eine Bank in diesem kleinen Kaff? Wie hieß es noch gleich? Willard Creek! Einer plötzlichen Eingebung folgend bremste er und drehte um.

Willard Creek war eigentlich nichts weiter als eine Raststätte auf den Nebenwegen in die Berge gewesen, wo die Leute nach Silber suchten. Viel weiter hatte es sich auch nicht entwickelt. 40 Häuser entlang einer staubigen Straße. Eine heruntergekommene, nicht totzukriegende Geisterstadt. Bevor Winny die Bank knackte, wollte er erstmal mit seinem restlichen Geld tanken. Vielleicht gab es in diesem Kaff hier doch einen Sheriff, der ihn verfolgen könnte. Der Tankwart bewegte sich unendlich langsam durch die 45 Grad im Schatten des frühen Nachmittags. Wortkarg kassierte er die 38 Dollar ab. Wahrscheinlich das Geschäft des Tages. Dann kehrte er zurück auf den Schaukelstuhl unter dem Vordach und beobachtete, wie Winny vor der Bank hielt und ausstieg.

Es war einfacher, als die Polizei erlaubte. Nur ein Schalterangestellter und der dicke schwitzende Bankdirektor in einem Glaskastenbüro im Hintergrund. Winny zog seine kurzläufige 38er und fordert die beiden lautstark auf, das Geld herauszugeben. Um diese Zeit waren keine Kunden da, die ihm Ärger machen konnten und beiden Bänker zogen es vor, nicht die Helden zu spielen. Winny stopfte alles Geld in einen Jutesack, bedankte sich betont freundlich und grinste die beiden frech an. Dann ging er seelenruhig zur Vordertür hinaus und stieg in seinen Mustang. Der Motor heulte kurz auf, und Winny beschleunigte wieder Richtung Ortsausgang. Gerade als er wieder die Tankstelle passieren wollte, sah er den Tankwart am Straßenrand stehen. Jetzt mit einer Schrotflinte unter dem Arm!

Winny wusste nicht viel über diese kleinen Wüstennester. Jedenfalls nicht genug, um zu verstehen, dass man hier Fremden gegenüber ganz besonders misstrauisch war. Hier kümmerte man sich umeinander, weil man irgendwie, und wenn um sieben Ecken, verwandt oder verschwägert war und da kam keiner ohne den anderen zurecht.

Im Rückspiegel sah Winnie jemanden vor dem Eingang der Bank mit beiden Armen heftig winken. Als er seine Aufmerksamkeit wieder der Straße widmen wollte, hatte der Tankwart das Gewehr erhoben, angelegt und ohne jede Vorwarnung auf den vorbeifahrenden Mustang geschossen. Das Seitenfenster zersplitterte und der Glashagel riß kleinere Wunden in Winnys Haut. Schon hatte der Mustang den Mann passiert und Winny war außerhalb der Schußweite.

»Mein Gott, was sind das bloß für Irre?« dachte Winny und betrachtete das kaputte Seitenfenster. Da hatte er noch mal verdammtes Glück gehabt. Hätte bös ausgehen können.

Etwas weiter vor ihm sah Winny zwei Pickups auf die Hauptstraße einbiegen. Die beiden Wagen schoben sich nebeneinander und blockierten die gesamte Fahrbahn. Winny nahm den Fuß vom Gas. Auf der Ladefläche des einen Transporters stand ein Mann mit einem Gewehr im Anschlag. Winny konnte jeden Moment in Schußweite kommen. Er gab Gas. 120mph, das war die Geschwindigkeit, die er erreichen mußte. Nach rechts brach er durch die Kreosotsträucher aus. Neben der Straße wollte er die beiden Lkw umfahren. In Sekunden war der Wagen zu einem fahrenden Schleifpapierblock geworden. Das ölige Harz der Sträucher vermischte sich mit dem Sand der Wüste und klebte an der Außenhaut des Fahrzeugs. Die Scheibenwischer konnten nicht dagegen an. Deshalb sah Winny auch den riesigen Saguaro nicht, bevor er dagegen gekracht war. Das war zwar nur ein Kaktus, aber ein verdammt kräftiger Bursche. Mit zerbeultem Kühler kam der Wagen zum stehen. Winny geriet in leichte Panik, als er durch die verschmierten Scheiben die beiden Pickups auf sich zukommen sah. Trotz einer leichten Benommenheit von dem Aufprall trat er wieder aufs Gas. Die acht Zylinder gaben ihr bestes, aber die Räder drohten sich in den Sand zu fressen. Winny riß sich zusammen und ging behutsamer mit seiner Motorenkraft um. Kurz bevor ihn die Pickups erreichten, kam er endlich frei.

Er war noch nicht wieder auf der Straße, da zertrümmerten zwei Gewehrschüsse  seine Rückscheibe und zersiebten die Klappe seines Kofferraums. Mit durchdrehenden Reifen beschleunigte Winny und raste auf die Stadt zu. Endlich 120 mph, endlich frei. Mit voller Geschwindigkeit fegte er durch die Mainstreet von Willard Creek. Die Laster im Rückspiegel wurden kleiner. Doch Willard Creeks Hauptstraße war von einer Menge Menschen gesäumt. Und alle hatten diese gottverdammten Pumpaction-Guns dabei, so wie andere Leute Einkaufstaschen bei sich trugen. Winnys Panik verwandelt sich Hysterie. Er schloß die Augen, hielt das Steuer stur geradeaus, trat das Pedal fast durch den Boden und schrie so laut er konnte.

Die ersten Schüsse rissen gewaltige Löcher in die Kotflügel und Seitenwände. Dann zersplitterten die restlichen Scheiben, Scheinwerfer und Blinklichter. Kurz vor dem Ortsausgang, zerfetzten sie ihm zwei der Reifen. Mit viel Geschick brachte Winny den Wagen nach mehreren gefährlichen Schlenkern zum Stehen. Egal wie, aber er war da heil rausgekommen. Winny sah durch die fensterlosen Türrahmen zurück. Eine Menschentraube, angeführt von zwei schrittfahrenden Pickups, kam langsam und gewehrschwingend auf ihn zu. Aus der anderen Richtung hörte Winny von Ferne eine Sirene.

Er mußte nicht lange überlegen, wem er sich lieber stellen würde. Winny stieß die Wagentür auf und rannte dem Polizeiwagen, der gerade auf der übernächsten Hügelkuppe auftauchte entgegen. Hoffentlich waren es auch genug Polizisten, um ihn vor diesen Wahnsinnigen zu beschützen. Eins war ihm jetzt klar: In der Wüste stiehlt man nicht, wenn man an seinem Leben hängt!

In der Wüste stiehlt man nicht (39) - © Copyright bei Ingolf Behrens, Hamburg, 1997. Alle Rechte vorbehalten.