Katze & Autor

Pychokrimi

Wie eine vollgefressene Katze räkelte sich Elke gemütlich auf dem Sofa. Sie streckte die Arme lang von sich und gähnte. Zeit, sich etwas zu essen zu holen. Das war jetzt die 7. Geschichte, die sie von diesem Paul gelesen hatte. Und sie war gut. Jedenfalls, wenn man von den Fehlern mal absah Wie die anderen auch. Der Mann machte einfach zu viele Fehler. Es fehlten Worte, es mangelte an Zeichensetzung, die Grammatik war eine einzige Katastrophe. Aber das alles hatte sie ihm ja schon mehrfach geschrieben. Leider ohne Erfolg. Warum auch gerade diese Autoren so wenig Wert auf Sprache legten, war ihr ein Rätsel. Sie selbst hatte ein untrügliches und angeborenes Gespür für Sprache. Genauso, wie für Pasta mit Pesto. Die ganze Wohnung duftete danach. Elke riss sich von ihrer Traurigkeit über diese schlampigen Autoren los und ging zu ihrem Mann in die Küche.

„Pasta?“ fragte sie.

Hans nickte. Es wusste doch, was sein kleines Leckermaul liebte.

„Du bist ein Schatz“, sagte Elke und setzte sich mit gierigen Blicken an den Tisch. „Mit Pinienkernen? Sehr lecker!“

„Wie war dein Tag?“ fragte Hans.

Als er von der Arbeit gekommen war, hatte er Elke auf dem Sofa gesehen. Noch in ihre Lektüre vertieft. Da wollte er sie nicht stören.

„So la la. Hab eine sehr schöne Geschichte gelesen, aber auch den üblichen Ärger mit den Autoren.“

Hans nannte seine Frau gern: Die Lektorin. Obwohl sie eigentlich Steuerfachgehilfin war. Jedenfalls bis er sie seinerzeit geheiratet hatte. Damals hatte es ihm eingeleuchtet, dass sich ja auch jemand um die Katzen kümmern musste, wo er so viel verdiente. Katzen hatte Elke viele. Allein die beiden Perser mussten jeden Tag mehrmals gekämmt werden. Und dann die vier Katzentoiletten. Das war mehr als genug Arbeit für eine alleinerziehende Katzenmutter.

Eigentlich mochte Hans gar keine Katzen. Schon gar nicht im Haus oder gar in seinem Bett. Aber er mochte Elke. Und Elke mochte nun mal keine Widersprüche.

Inzwischen waren sie seit acht Jahren verheiratet und Hans hatte sich daran gewöhnt, dass die Katzen die eigentlichen Herrscher im Haus waren. Und natürlich auch daran, dass er wesentlich besser fuhr, wenn er das bisschen Haushalt gleich nach der Arbeit schnell selbst erledigte.

„Dieser Paul Moch schreibt wirklich gut“, sinnierte Elke, während sie unmotiviert Spaghetti aufrollte. „Vielleicht braucht der einfach nur ein bisschen Hilfe.“

„Wie meinst du das?“

„Na, offenbar reicht es bei manchen Autoren nicht aus, wenn man nur den Finger auf die Wunde legt. Vielleicht sollte ich nicht nur immer kritisieren, sondern auch mal helfen.“

„Wie willst du dem denn helfen, wenn er nicht schreiben kann?“

„Er kann ja schreiben. Nur nicht richtig“, erklärte Elke nachdenklich. „Ich glaube, ich sollte ihm anbieten seine Sachen Korrektur zu lesen!“

„Meinst du, dass es das wert ist?“ fragte Hans irritiert. „Ich meine, du hast doch jetzt schon kaum noch Zeit. Du reibst dich ja förmlich auf für diese Autoren. Und jetzt noch Korrektur lesen ... Ich weiß nicht.“

„Du hast ja Recht, aber ich glaube, der ist es wert. Die Geschichten sind wirklich gar nicht so schlecht!“

„Na, wenn du meinst“, sagte Hans resigniert und damit war das Thema für ihn erledigt.


*

Elke war nun mal eine Frau der Tat. Wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann machte sie das auch. Und zwar gut. Sie hatte Paul Moch bereits per Email um einen Termin gebeten. Sie wollte ihn persönlich treffen, sich ein Bild von seinen Qualitäten machen und ihm ihr großzügiges Angebot unterbreiten, wenn sie feststellte, dass er dafür schon bereit war.

Der Mann hatte Hilfe bitter nötig. Auf die Frage, wann sie sich denn mal treffen könnten, hatte er geantwortet: „Grundsätzlich gerne, aber im Moment sei er leider voll ausgebucht.“

Kein Sprachgefühl dieser Mann. Mit so einer Information konnte sie doch nichts anfangen. Er hätte ihr natürlich mitteilen sollen, wann er Zeit hatte und nicht, wann nicht. Also fragte sie nach: Wann er denn Zeit hätte? Antwort: „Wie gesagt, er wüsste nicht wo ihm der Kopf stünde, so pressiert’s.“

Na was denn? Genau aus diesem Grund wollte sie ihm ja ihre Hilfe anbieten. Vielleicht war der Mann einfach zu dumm, das zu begreifen. Nun nannte man sie ja nicht umsonst die Katzendame von Höllingstedt. Sie war von solch sprachlicher Gewandtheit, dass sie ohne Schwierigkeiten eine Formulierung fand, die ihr Anliegen unzweifelhaft vorantrieb.

„Ja, wie es denn heut Abend wäre“, schrieb sie ihm ohne Umschweife zurück. Und als Antwort kam auch prompt: „Da hätte er einen Termin im Maibaum. Einer Literaturkneipe.“

„Na also“, dachte Elke und rief ihren Mann an. „Du brauchst heut Abend nicht zu kochen, musst dich nur um die Katzen kümmern. Ich muss nach Hamburg, habe da einen Termin mit einem Autor.“

Ihr Gatte wunderte sich ein wenig, weshalb sie jetzt tatsächlich einen Termin mit so einem Autor hatte, denn eigentlich war sie ja gar keine Lektorin, sondern schrieb nur Rezensionen für irgend so ein Internetportal. Das war doch wohl eher eine Art Beschäftigungstherapie, dachte Hans bislang.

Aber, wenn sie nun schon Termine mit Autoren machte, dann war da ja vielleicht doch mehr dran, als er bisher gedacht hatte.


Weit war Hamburg nicht. Mit dem Auto nur eine dreiviertel Stunde. Bis sie jedoch das Maibaum gefunden hatte, verging mal eben noch eine halbe Stunde. Literaturkneipe! So ein Spinner! Das war ein gewöhnlicher Biergarten.

Elke hatte ja im Internet ein Foto des Autors gesehen. Unauffällig sah sie sich um. Ganz hinten, unter eine Linde saß er. Vor sich einen Laptop und drei halbvolle Weizenbiere. Offenbar war er nicht allein.
Das hätte er ihr aber auch sagen können, dachte Elke, die sauer war, weil sie jetzt den ganzen Weg umsonst gemacht hatte. So einer war wohl kaum ein richtiger Autor, wenn er, statt bei einer Lesung zu sein, hier im Suff versank.

Wenn sie schon einmal hier war, konnte sie die Zeit auch nutzen und sich ein Bild von diesem Versager machen. Wie konnte nur so ein Idiot so schöne Geschichten schreiben? Und das ohne jedes Sprachgefühl?
Sie bestellte sich einen Darjeeling und beobachtete den Mann. Es war wohl unnötig zu erwähnen, wie schlecht der Tee hier war. Und das in der Stadt, die den Tee-Import förmlich erfunden hatte.

Elke zitierte die Bedienung herbei. Sie erklärte ihr, dass das Wasser nicht gekocht hätte und vor allem, wie man richtig Tee kochte.

Leider war die Bedienung wohl ein Reimport aus Polen und verstand einfach nicht, was Elke von ihr wollte. Letztlich musste sie wohl doch mit diesem Gebräu hier vorlieb nehmen.

„Was ist denn mit den anderen Gästen an dem Tisch dort hinten? Sind die schon gegangen?“

„Nein“, sagte die Bedienung.

„Das Weizen wird aber schal, wenn die nicht bald wiederkommen!“

Die Bedienung verstand offensichtlich mal wieder nicht, was Elke eigentlich von ihr wissen wollte.

„Vielleicht sind die ja doch schon gegangen?“

„Ganz sicher nicht!“ behauptete die Bedienung und ging frech wieder an ihre Arbeit.

Jemand vom Nachbartisch sprach Elke unvermittelt an. „Da sitzt keiner an dem Tisch. Der Peter trinkt die ersten Biere immer nur halb aus und lässt sie dann stehen. Das macht der, damit sich niemand an seinen Tisch setzt.“

„Ach!“

„Ja. Ist jeder Bedienung strengstens verboten die abzuräumen.“

„So, das ist ja interessant“, stellte Elke fest. „Ist dieser Peter denn öfter hier?“

„Jeden Tag. Der ist Schriftsteller oder so. Sitzt da jeden Tag und schreibt was, bis er voll ist. Reden tut der nich viel. Wenn er fertig ist, geht er einfach nach Haus. Und gut.“

„Hat der denn schon mal was veröffentlicht?“

„Was weiß ich. Is mir auch egal.“

„Ich bin ja so was wie eine Lektorin, wissen Sie? Vielleicht sollt ich dem Peter mal ...“

„Nee ne. Lesben haben wir hier genug. Nichts für ungut, aber, da kann ich jetzt nicht drauf.“

Der Mann nahm sein Bier und ging hinein in den Gastraum, um sich an den Tresen zu setzten. Offenbar war er ursprünglich nur auf eine Zigarette heraus gekommen. Elke schüttelte den Kopf. Was für ein Analphabet.

Dort drüben saß also der Mann, der Geschichten wie „Der Samurai und die Tänzerin“ geschrieben hatte. Ließ sich volllaufen beim Schreiben und wunderte sich womöglich noch, dass seine Geschichten von Fehlern nur so strotzten. Was für eine Welt?

Während sie selbst sich redlich um die Literatur bemühte und Tag und Nacht schuftete, um die Sprache nicht endgültig der Verwesung preis zu geben, kippte der sich hier ein Bier nach dem anderen rein! Was hatte Gott bloß für einen dummen Humor, wenn er solche Typen Bücher schreiben ließ. Das war wirklich ein Affront für jeden Liebhaber schöner Literatur.

Elke war wütend und dachte daran zu gehen. Doch dann schoss ihr ein Gedanke durch den Kopf. Was, wenn Gott einfach nur einen Sinn für schwere Prüfungen hatte? Was, wenn es Gottes Plan war, dass sie dafür sorgte, dass seine Talente, die er so ungleich verschleuderte, in die richtigen Bahnen gelenkt würden? Was, wenn das hier ihre Bestimmung war? Wenn das allein der Grund für ihr so fein entwickelte Sprachgefühl war?

„Ich glaube wir sind hier verabredet“, sprach sie Paul an. Sie war sich gar nicht bewusst gewesen, dass sie an seinen Tisch gegangen war und nun wachte sie auf, wie aus Trance und sah ihre Bestimmung ein halbes Weizen am Stück wegkippend, vor sich. Was für eine Prüfung!

„Das glaube ich nicht“, sagte Paul. „Es sei denn, Sie sind schon bezahlt.“

„Bitte?“ fragte Elke, die nicht auf Anhieb verstand, was der Alkohol da aus diesem Mann sprach. „Ich hatte Ihnen geschrieben! Heute Morgen! Per Mail!“ Das konnte er doch nicht schon wieder vergessen haben.
„Ach Sie sind das. Wieso sind Sie gekommen?“

„Ich hatte doch angeboten Ihnen zu helfen. Sie wissen schon: Die Rechtschreibung.“

„Ja, ja, hab ich gelesen. Aber vielen Dank. Ich komme schon klar.“

„Das doch wohl nicht. Ihre Orthographie ist mehr als verbesserungsbedürftig!“

„Mag schon sein. Aber ist mir eigentlich egal.“

Elke war entsetzt. Nicht nur, dass sie kilometerweit für diesen Spinner gefahren war, jetzt bedankte er sich nicht mal.

„Wenn wir Ihre Ideen mit meinem Sprachgefühl und meinem untrüglichen Sinn für Orthographie zusammentun, dann werden aus ihrem Rohmaterial noch richtige Geschichten.“

„Wie bitte?“ Paul schaute die Frau das erste Mal direkt an. „Um Gottes Willen!“ sagte er dann.

„Genau das habe ich auch gedacht. Es ist eine Fügung Gottes!“

„Ja ja“, antwortete abwesend. „HANNES!“ rief er in Richtung Kneipe.

„Sie wollen doch jetzt nicht noch mehr trinken?“

„Hören Sie, von welchem Planeten Sie auch kommen, ich habe zu tun und würde jetzt gern weiter arbeiten.“

„Arbeiten! Das nennen Sie arbeiten?“

„HANNES!“

„Sie lassen sich hier volllaufen und schmieren ihre Geschichten hin, voller Fehler. Meinen Sie etwa, Sie tun der Menschheit damit einen Gefallen!?“

„HANNES, verdammt!“

„Ja, ja, komm ja schon!“ rief der Wirt, der seine 120 Kilo bei der geforderten Geschwindigkeit nur schwer unter Kontrolle zu haben schien.

„Schaff mir die vom Hals. Ich muss arbeiten!“

„Schon gut, schon gut!“

Elke fühlte eine schwere Hand an ihrem Ellenbogen.

„Was soll denn das?“ schrie sie den Wirt an. Die anderen Gäste schauten sofort herüber und würden ihr sicher gleich zu Hilfe eilen.

„So, nun ist mal Schluss hier!“ rief der Wirt. „Sie belästigen die Gäste.

„Ich belästige doch keine Gäste, wir sind hier mitten in einer Geschäftsbesprechung.“

„Ja, ja, schon klar.“

Der Wirt schien der deutschen Sprache nur sehr begrenzt mächtig zu sein. Verstand er nicht, was sie sagte. Auch Paul half ihr nicht, indem er sagte: „Schaff sie hier weg!“

Aber was war von diesen Autoren schon zu erwarten? Die verstanden einfach nicht, dass man ihnen nur helfen wollte. Da fehlte es immer schon am emotionalen Einfühlungsvermögen.

„So, gute Frau! Und jetzt darf ich Sie bitten mein Lokal zu verlassen. Sie können ihr Geschäft gern vor meiner Tür erledigen, aber nicht hier!“

Plural du Idiot, dachte Elke sofort und wies dann darauf hin: „Ich habe doch meinen Tee noch gar nicht ...!“

„Der geht aufs Haus und Sie jetzt raus!“ Mit diesen Worten schob er Elke sanft an den glotzenden Gästen vorbei, die nicht verstanden, was vorging, aus dem Biergarten heraus. Die meisten Anwesenden schüttelten nur den Kopf, als Elke zeternd an ihnen vorbei geschoben wurde. Das war ja klar, dass keiner einer Frau in Not beistand. Die Leute hatten doch alle kein Gespür für Situationen. Verstand denn keiner von denen, dass hier ein klares Missverständnis ...?

„Ich habe hier Hausrecht!“ plusterte sich der ohnehin schon schwergewichtige Wirt jetzt noch zusätzlich auf. „Wenn Sie meinen Biergarten noch einmal betreten sollten, dann hole ich die Polizei! Das ist dann Hausfriedensbruch!“

Landfriedensbruch, du Idiot, das ist doch ein Garten, dachte Elke, doch sie war so schockiert, dass sie vergaß, den Wirt darauf hinzuweisen. Ein bisschen mehr Genauigkeit bitte.

Eine Bedienung stellte sich in der Nähe des Eingangs bereit, während der Wirt schnaufend abzog und Elke vor dem Zaun mit der Ligusterhecke einfach stehen ließ.

„Ihr Autoren zieht die Verrückten aber auch irgendwie an!“ schimpfte er, als er an Pauls Tisch vorbeikam. „Wenn ihr nicht so gute Kunden wärt, dann ...“

„Ach komm schon! Mach uns mal zwei Kurze auf den Schreck, ja?“ unterbrach ihn Paul, der die Leier wohl zur Genüge kannte.

„Geht klar!“ grunzte Hannes und war wieder mit sich und seiner Welt im Reinen.


*

Elke war sich wirklich nicht mehr sicher, ob der Kerl es überhaupt wert war, dass sie ihm half. Zwei Stunden saß er nun schon unter dieser Linde und hatte weitere fünf Weizen getrunken. Völlig sinnlos hatte er dabei auf seinen Laptop eingehämmert, 160 Anschläge pro Minute. Aber was konnte das schon für einen Sinn machen? Was glaubte dieser Mensch wohl, was in seinem Zustand dabei herauskommen sollte? Der Mann brauchte wirklich dringend ihre Hilfe. Auch psychisch irgendwie?

Deshalb hatte Elke ihn, trotz dieser unschönen Geschichte nicht im Stich gelassen, sondern in der Nähe der Kneipe auf ihn gewartet. Lange gewartet. Die Katzen würden sie sicher schon vermissen. Doch was tat man nicht alles für die Literatur.

Endlich hatte Paul gezahlt. Seine Schritte waren nicht besonders sicher, als er auf den Gehweg einbog. Und seinen Laptop hatte er gar nicht dabei, stellte Elke erstaunt fest. Wie sollten sie dann seine heutige Arbeit korrigieren? Was war das für ein Mensch, der seinen Laptop gleich in der Kneipe ließ, wohl, weil er wusste, er würde am nächsten Tag eh wiederkommen und weiterhin trostlose Buchstaben in den Magnetspeicher hauen? Buchstaben, die sie zu wahren Geschichten entwickeln könnte.

Wenigstens war er nicht mit dem Auto da, sondern nahm die U-Bahn.

„Hallo“, sagte sie, als sie sich auf dem Bahnsteig gleich neben ihn stellte.

„Wissen Sie noch, wer ich bin?“

Der Autor sah stur geradeaus. Zu stur. Vermutlich war es der Alkohol, den er aufs Gleis erbrach. Wenigstens wusste sie jetzt, woher die ganzen Rechtschreibfehler in seinem Werk kamen. Aber eine Entschuldigung war das nicht.

„Wie kann man sein Talent nur so verschwenden!“ versuchte sie ihm ins Gewissen zu reden, obwohl sie ahnte, dass das in seinem Zustand wenig Sinn machte.

„Das?“ fragte Paul und zeigte auf die Gleise. „Das ist nicht verschwendet. Was ich da heraus würge, ernährt allemal die Ratten dieser Welt!“

„Ich meine doch Ihre Geschichten!“ Elke konnte die Dummheit dieses Menschen kaum noch fassen.

Paul zog die Schultern hoch, wischte sich den Mund ab und fragte: „Wo ist der Unterschied?“

Vielleicht sollte sie mit dem Menschen doch nicht zusammenarbeiten. Elke war ein wenig verunsichert. Sollte er doch sein Talent verrotten lassen, was ging das sie an?

Sie hätte ja selbst schon Geschichten geschrieben, aber alle Geschichten, die sie hätte schreiben wollen, waren bereits geschrieben. Sie hatte halt das Pech einer Spätgeborenen.

Immer wenn Sie ein Buch las, musste sie feststellen, dass ihr schon wieder jemand eine Idee vor der Nase wegschnappt hatte. Gerade erst hatte sie so etwas Ähnliches gedacht. Es war zum Verzweifeln. Solche Trunkenbolde aber und diese ganze inkompetente Autorenbrut schrieben ihre Geschichten immer einfach auf. Ohne an die anderen zu denken, ohne jeden Willen zur Ordnung oder zum Perfektionismus. Einfach so runter geschrieben, hingeschmiert und rausgehauen. Wenn sie solche Geschichten las, wusste sie, dass wieder jemand eine wirklich tolle Geschichte vernichtet und unreif zu Grabe getragen hatte. Das alles hätten ihre Kinder sein können. Nur eben sehr viel richtiger.


„Hören Sie, ich mir das genau überlegt“, erklärte sie diesem Paul Moch noch einmal. Irgendwann musste er es doch verstehen. „Sie kümmern sich nur noch ums Schreiben. Schreiben Sie ruhig so besoffen, wie Sie wollen. Ich werde das hinterher alles wieder in Ordnung bringen. Mit meinem Know-How und meinem sprachlichen Talent werden wir dann ein richtig gutes Team.

Paul sah sie glasig und verständnislos an.

„Ich werde ihr Co-Autor, verstehen Sie?“ erklärte sie nochmals.

„Also, Sie korrigieren die 20 Rechtschreibfehler und sind von jetzt an mein Co-Autor?“, fragte Paul fassungslos.

„Genau?“

„Habe ich da eine Wahl?“ fragte er misstrauisch.

„Im Prinzip nicht“, erklärte Elke, die das Gefühl hatte, dass er endlich verstand, worum es ging.

„Allein können Sie das doch gar nicht. Ihnen fehlt jeder Sinn für die sprachliche Ordnung, ohne jemanden wie mich, sind Sie doch verloren im Universum all dieser Wörter. Sie brauchen mich, verstehen Sie das denn nicht?!“

„Tatsächlich?“

„Ja natürlich“, erklärte Elke, die sicher war, dass es endlich vorwärts ging mit diesem Ignoranten.

„Sehen Sie, ich kann mich sprachlich überall hinein versetzen. Ich werde dafür sorgen, dass Ihre Geschichten so sind, wie sie sein sollten. Sprachlich bin ich im Prinzip eine Katze. Genauso wendig und elegant!“
„Eine Katze?“ fragte Paul nachdenklich. „Aber so viele Leben haben Sie hoffentlich nicht“, säuselte er dann trunken und schubste Elke unauffällig vor die gerade einfahrende U-Bahn. Er sah nicht einmal hin, wie sich Elkes Körper mit seiner Kotze vereinigte. Damit war jetzt Ruhe. Wenngleich jetzt auf dem Bahnsteig das Chaos erst richtig losging.

Paul kratzte das nicht. Von diesem Typ Volksschullehrerin hatte Paul schon seit der dritten Klasse die Schnauze voll gehabt. Sein Leben war lange im Arsch. Ob mit oder ohne Rechtschreibung. Da war es ihm auch egal, ob sie ihn wegen Totschlags drankriegten oder nicht. Im Knast könnte er vermutlich endlich in Ruhe schreiben.

Schweigend setzte er sich in die U-Bahn auf dem Gleis gegenüber und versuchte ein wenig zu schlafen. Wenn er jetzt in die Gegenrichtung fuhr, waren es acht Stationen mehr. Irgendwie war Paul sich sicher, dass diese ihm eigentlich unbekannte Frau bereits eine so dicke Krankenakte hatte, dass ihr putativer Selbstmord vermutlich wenig Fragen aufwerfen würde. Und vermissen würde sie wohl auch niemand. Außer vielleicht ein paar Katzen im Tierheim.

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