Zum blutigen Ochsen

Kurzkrimi

Er mochte einfach ihre Fußgelenke. Nicht, dass er so etwas wie ein Fußfetischist war, nein, überhaupt nicht. Er hatte sich einfach nur an den Anblick ihrer Fesseln gewöhnt. Karen hatte er im Tennisclub Rot-Weiß kennengelernt. Genau genommen hatte er gegen Frank, ihren Mann, in einem Turnier verloren und anschließend im Vereinshaus seine Frau kennengelernt. Lange Zeit hatte er Karen nur auf die Füße gestarrt, denn er hatte Angst seinen Blick zu heben, weil er sicher war, sie würde ihm sofort ansehen, was er dachte, wenn er ihr direkt ins Gesicht blickte.

Später mochte er auch ihre Waden und Oberschenkel, aber da waren sie ja schon wesentlich vertrauter miteinander. Heute aber schaute er wieder nur auf Karens Fesseln, denn er hatte vor, mit Frank ein ernstes Gespräch zu führen. So von Mann zu Mann. Mit ungewissem Ausgang natürlich, außer vielleicht, dass Karen ganz sicher stinksauer sein würde.

„Können wir?“ fragte Frank, der dachte, dass sie den Sieg der Mannschaft beim Medenturnier nachfeiern wollten. Frank und Klaus waren inzwischen gut befreundet, jedenfalls seit Klaus seinen Blick weit über Karens Knie hinaus erhoben hatte. Diesen Abend jedoch würde er nicht mit ihr verbringen.

„Viel Spaß, ihr beiden“, wünschte Karen, die sich in der Tür von ihrem Mann verabschiedete und ein Prosecco-Glas hob. „Ich trinke hier mal schön alleine.“

„Männerabend“, sagte Frank kurz. „Warte nicht auf mich, kann spät werden.“

*

Sie hatten Glück. In der „Schlachthofschänke“ war noch ein ruhiges Plätzchen zu haben. Die „Schlachthofschänke“ war ein alteingesessenes Lokal, das sich dank seiner Zusammenlegung mit dem Hotel „Zum Ochsen“, zu einem echten Touristenmagneten entwickelt hatte. In den Sommermonaten steppte hier der Bär, aber zum Ende der Saison waren es meist Einheimische, die sich auf die vielversprechenden Dibbelabbes stürzten.

„Zwei Hopfenkaltschalen und einmal Kartoffelpuffer mit Mus“, bestellte Frank.

„Du musst immer noch den Zugereisten raushängen lassen, ja?“

„Bin halt ein alter Lipper.“ Frank zog ein Päckchen Zigaretten raus. Dann sah er den wachsamen Blick der Wirtin und steckte sie schnell wieder ein.

„War eine erfolgreiche Saison“, setzt Klaus an. „Unser Doppel war super.“

„Super, super“, grunzte Frank. „Ja, war alles super, aber eigentlich steht mir das Wasser bis zum Hals.“

„Wie meinst du das?“

„Diese verdammte Krise bricht mir das Genick“, erklärte Frank. „Kein Mensch will nach der Abwrackprämie noch Autos kaufen.“

„Aber das war doch ein Superjahr für dich.“

„Ja, ja, Superjahr. Die Hersteller haben mit den ganzen Rabatten ihre Halden geleert. Da ist doch für uns Händler kaum was hängengeblieben. Dafür ist jetzt der Ofen aus. Endgültig. Finito.“

Klaus prüfte den füllstand ihrer beiden Biere am Eichstrich.

„Ist was?“ fragte die Wirtin misstrauisch.

„Nein, nein“, sagte Klaus schnell, der jetzt nicht die Atmosphäre vergiften wollte.

„Prost!“ Frank kippte das halbe Bier in einem Zug weg.

„Du kannst doch was Anderes machen“, versuchte Klaus ein wenig Trost zu spenden. „Du hast doch reichlich in der Hinterhand. Das Haus, die beiden Autos, die Ferienwohnung auf Sylt.“

„Blödsinn, das gehört doch alles längst Karen. Das habe ich ihr schon bei der Krise 92 überschrieben. Und seit der Krise 2004 gehört ihr auch das Autohaus. Zumindest das Grundstück und das Gebäude. Ich sage dir, seit 15 Jahren besteht meine Zeitrechnung nur noch in Krisenjahrgängen.“

„Na gut, aber da ist das Vermögen ja vor den Gläubigern sicher. Also könnt ihr doch was Neues aufbauen.“

„Du hast gut reden. Du sitzt da im Eichamt und musst dir keinen Kopf machen. In diesen Zeiten wäre ich auch gern Beamter, kannst du mir glauben.“

„Mit meinem Gehalt könntest du dir so ein Haus aber nicht leisten. Von einer Frau wie Karen mal abgesehen.“

Frank lachte verbittert auf. „Ja, eine Frau wie Karen, muss man sich leisten können.“

Klaus spürte, dass das Gespräch jetzt gleich in die Richtung schwenken würde, die ihm eigentlich vorschwebte. Nämlich Karen.

„Noch mal zwei Pils, bitte“, orderte er, als die Kellnerin die Dibbelabbes auf den Tisch stellte.

Vielleicht aber war der Zeitpunkt, Frank zu eröffnen, dass er als kleiner Beamter gerade vorhatte, ihm, dem reichen Autohändler, sein Schmuckstück wegzunehmen, nicht wirklich gut gewählt. Klaus mochte nicht einem Strauchelnden auch noch die Beine wegtreten.

„Diese Weiber“, grunzte Frank abwesend. „Weißt du, was Karen mich jetzt seit drei Wochen immer wieder fragt?“

„Nein.“

„Ob ich ihre Füße geil finde. Ihre Füße, verstehst du? Bei dieser Oberweite, die mich einen guten Mittelklasse-Wagen gekostet hat, fragt sie mich, wie ich ihre Füße finde“, lachte Frank mit einem Stich ins hysterische. „Ihre Füße! Ich fasse es nicht.“

„Die sind nicht echt?“ fragte Klaus, der seinen Fokus auf Karens Füße ein wenig aus den Augen verloren hatte.

„Wieso nicht echt?“ Frank war irritiert. „Was soll an den Füßen nicht echt sein?“

„Die Füße, nein, ich meine die …“

„Die Titten!? Och doch, ja klar sind die echt. Echt teuer!“

„Aber die sehen doch ganz echt aus.“ Fast hätte Klaus gesagt, dass sie sich auch echt anfühlten.

„Das hat sie ja so teuer gemacht.“

„Also, das hätte ich nie gedacht.“

„Das Schlimme ist, dass sie die Dinger mitnimmt, wenn sie geht. Nicht nur das Haus, die Autos, sondern auch die Brüste.“

„Was meinst du mit: Gehen?“

„Die geht. Die hat einen Neuen. Einen Liebhaber. Die lässt mich sitzen mit den Schulden und dem ganzen anderen Mist.“

„Nein, das glaube ich nicht! Das kann nicht sein!“ So hatte Klaus sich dieses Gespräch jetzt nicht vorgestellt. Eigentlich hätte er es sein sollen, der Frank offenbart, dass Karen einen Liebhaber hat. Und wieso sollte sie ihren Mann verlassen? Wegen eines kleinen Eichbeamten? Klaus wollte dieses Gespräch doch eigentlich führen, um der ganzen Geschichte ein Ende zu bereiten. Er hatte sich bei Karen keine ernsthaften Chancen ausgerechnet. Vielleicht eine kleine, oder so.

„Hör mal, tut mir leid, dass ich dir den Abend verderbe“, sagte Frank. „Ich brauch jetzt einfach mal einen Schnaps. Du auch?“

„Ich mach das schon.“ Klaus war froh einen Moment Zeit zum Denken zu haben. Er ging an den Tresen und überlegte, was er trinken könnte.

„Zwei Hundsärsch.“ Die Flasche mit dem Mispelschnaps war nicht mehr allzu voll und wenn sie dabei blieben, würde sich der Kater sicher in überschaubaren Grenzen halten.

„Kommt sofort!“

Als Klaus zurück an den Tisch kam hatte Frank sein Bier schon wieder leer.

„Haste gleich noch ‘ne Kaltschale bestellt?“

„Hab noch.“

„Egal. Fräulein!“

Die hemdsärmelige Wirtin kam mit drei Gläsern und der Flasche Heiners Mispelschnaps an den Tisch.

„Die Hundsärsch gehen aufs Haus“, erklärte sie, und schenkte mit ihren kräftigen rosa Unterarmen die drei Gläser voll. „Die Wiege ist für die Katz, sag ich immer. Dann mal Prost, die Herren!“

„Die Wiege ist für ‘n Arsch. Auf die Hundsärsch!“ trompetete Frank und kippte, synchron mit der Wirtin, seinen Kurzen runter. „Und zwei Bier noch, ja!? Oder sagen wir drei!“

„Gern.“

Die Wirtin ging los und ließ die Flasche mit dem Hundsärsch auf dem Tisch stehen.

„Wenn du so eine Frau hast, dann hast du solche Probleme nicht“, behauptete Frank ernst.

„Was für eine Frau?“

„Na hier, die Kellnerin? Hast du die nicht gesehen?“

„Doch, aber die ist dick! Das ist doch kein Vergleich mit Karen!“ Klaus war empört. Wie konnte Frank dieses Weib mit seiner Frau vergleichen? Einer Frau mit unvergleichlichen schlanken Fesseln.
„Ja, schon, aber dankbar, zuverlässig und unbedingt solidarisch. Der geht es nicht nur darum sich ihren eigenen Hintern vergolden zu lassen. Die hält zu einem. Durch dick und dünn.“

„Wohl mehr durch dick“, frotzelte Klaus entgeistert.

„Komm trink aus!“ befahl Frank und goss sich den letzten Schluck aus der Schnapsflasche ein. „Auf Frauen, die treu ihren Mann stehen.“

Darauf konnte Klaus jetzt eigentlich nicht trinken, aber der Wirtin, die die nächsten Biere gebracht hatte, schien der Trinkspruch zu gefallen.

„Und auf Kerle, die solche Frauen auch zu schätzen wissen“, fügte sie hinzu. Trank und verließ den Tisch mit ihrem Bier.

„Bist du überhaupt sicher, dass Karen dich verlässt“, wollte Klaus wissen.

„Ganz sicher!“

„Wieso!“

„Herr Gott, weil sie gesagt hat: Ich verlasse dich!“ knurrte Frank genervt.

„Ehrlich? … Wann?“

„Heute, kurz bevor du mich abgeholt hast.“

„Wegen des Geldes?“

„Nein, weil ich ihr nicht genug Aufmerksamkeit schenke. Ich beachte ihre Füße nicht wirklich. Was denkst du denn! Die hat einfach einen anderen.“

„Na gut, aber so eine Scheidung ist ja heute auch nicht mehr so…“

„Scheidung! Sag mal, hast du mir nicht zugehört! Ich kann mich nicht scheiden lassen, dann bin ich erledigt. Für immer!“

„Vielleicht kann man mit Karen noch mal drüber reden?“

„Man bist du naiv! Die sitzt doch jetzt nicht zuhause und packt ihre Sachen! Die sitzt zu Hause, trinkt Prosecco, und packt meine Sachen. Würde mich nicht wundern, wenn ich nachher heimkomme und meine Koffer in der Auffahrt wiederfinde.“

„Das glaube ich nicht. So schätze ich Karen wirklich nicht ein.“

„Hör auf das Luder zu verteidigen, sei froh, dass du nicht so eine Frau hast! Und jetzt Prost!“

Frank kippte schon wieder ein halbes Pils hinunter und Klaus kam kaum hinterher. Er spürte die Wirkung des zu schnellen Trinkens bereits in den Beinen.

„Du bist mein Freund“, erklärte Frank mit leicht alkoholisierter Aussprache. „Dir kann ich’s ja sagen. Ich muss Karen loswerden. Und ich meine, richtig loswerden. Da ist ‘ne Lebensversicherung fällig und das nicht zu knapp. Das einzige, was mir jetzt noch hilft, ist, wenn bei ihrem SLK die Bremsen versagen. Du verstehst?“

„Was, du hast doch nicht …!?“

„Nein, noch nicht. Mir fehlen dafür einfach die Eier. Ganz ehrlich, einer Großmutter einen teuren Autokredit andrehen, kein Problem, Gebrauchtwagen auffrischen, kein Thema, aber den Maulwurf in unserem Garten konnte ich auch nicht töten.“

„Red’ nicht so einen Scheiß. Du kannst doch niemanden umbringen.“

„Sag ich doch, ich kann’s nicht! Aber ich kenne Leute, die so etwas machen. Und ganz ehrlich, mir bleibt gar keine Wahl. Wenn ich meine Koffer vor der Tür wiederfinde, dann …“

„Das solltest du nicht mal im Spaß sagen!“

„Du hast recht“, gab Frank nach. „Ich sollte so etwas nicht sagen.“

Klaus sah Frank in die Augen, dort blitzten ein paar Biere, zwei Hundsärsch und die Gewissheit auf, dass Frank nicht wirklich Spaß machte. Klaus wurde übel.

„Ich muss mal eben“, entschuldigte er sich und stieg leicht benommen die Treppen hinunter, zu den Gästetoiletten.

*

„Verdammt“, dachte Klaus. „Er wird Karen umbringen.“ Er dachte daran, Karen anzurufen und sie zu warnen. Aber er konnte sie ja nicht wirklich beschützen. „Doch, ich kann sie beschützen. Sie ist so gut wie meine Frau. Ich habe das Recht, sie zu beschützen. Ich werde Frank töten. Jetzt und hier“, murmelte er vor sich hin.

Klaus Blick fiel auf die Flasche Domestos, die neben einer der Toiletten im Putzeimer stand. „Schmeckte man Domestos im Hundsärsch? Konnte man das sehen? Brachte einen das überhaupt um? Die Flasche im Schankraum war leer. Das Getränkelager gleich hier unten im Keller. Er musste nur noch den Domestos in die Flasche füllen, und oben einen neuen Schnaps bestellen. Die Kellnerin würde eine neue Flasche aufmachen. Sie würden trinken. Jedenfalls Frank. Er würde tot zusammenbrechen, Klaus sein Glas daraufhin stehen lassen, und auf das Ergebnis der polizeilichen Untersuchung warten.

„Der Plan ist gut“, dachte sich Klaus.

Er ging tatsächlich mit der Domestosflasche den Kellergang entlang. Die Tür zum Getränkelager war verschlossen, aber sie hatte ein einfaches Schloss, kein Sicherheitsschloss und Klaus war beim Eichamt. Er hatte immer einige Dietriche am Schlüsselbund. Bei vielen seiner Kontrollen, konnten Gastwirte den Schlüssel zur Schankanlage nicht finden, auch, wenn sie ihn eigentlich mehrmals täglich brauchten. Da half er dann gerne aus.

Die Tür war ein Kinderspiel. Rechts waren die Fasskühler, links, ein Regal mit Likören, Schnäpsen und Kisten mit Fruchtsäften. Eine Flasche Hundsärsch war noch da. Perfekt. Vorsichtig öffnete er die Flasche, wobei sein Blick auf das Regal darunter fiel. Rattengift!

Da lag mitten zwischen den Flaschen eine offene Packung mit Rattengift. Besser konnte es doch gar nicht kommen. Er stellte das Domestos beiseite und entschied sich für das Rattengift. Handschuhe? Da lagen auch Einweghandschuhe für die Küche. Gott meinte es gut mit ihm. So würden keine Fingerabdrücke auf der Flasche sein und keinerlei Giftspuren an seinen Händen. Da musste ein Zeichen sein!

Diese Menge würde einen Elefanten töten, da war sich Klaus sicher. Er drehte die Flasche sorgfältig wieder zu. Gut, der Verschluss war angebrochen, aber darauf würde die Bedienung um diese Zeit nicht achten.

Und er wäre aus dem Schneider. Keine Abdrücke, die Wirtin hatte die Flasche aus dem verschlossenen Keller geholt, sie geöffnet, hatte eingeschenkt, es war das Rattengift, was ebenfalls im Keller gelagert wurde, und im Gastraum gäbe es bestimmt noch einen Zeugen, der aussagen würde, dass außer der Wirtin niemand an der Flasche gewesen sein konnte.

Klaus schloss den Getränkekeller wieder ab, spülte die Gummihandschuhe in der Toilette runter, wusch sich sorgfältig die Hände und ging wieder hoch an seinen Tisch.

Jetzt musste er nur noch auf eine günstige Gelegenheit warten, um einen Schnaps zu bestellen. Und die konnte in der gegenwärtigen Situation nicht lange auf sich warten lassen.

*

„Ich hasse diesen Schnösel“, schüttete Frank gerade der drallen Wirtin sein Herz aus.

„Also, ich würde meinen Mann nicht verlassen, wegen so eines Schnösels“, stellte die Wirtin solidarisch klar.

„Das weiß ich doch“, säuselte Frank rührselig angeschickert.

„Welchen Schnösel?“ wollte Klaus wissen.

„Der Liebhaber von Karen“, grunzte Frank.

„Du weißt, wer das ist?“ Klaus war hochgradig alarmiert.

„Aber klar!“

Klaus schluckte hörbar. Gut, dass er noch keinen Schnaps bestellt hatte, sonst hätte er ihn in diesem Moment vor Schreck womöglich selbst getrunken.

„Wer?“ fragte er heiser.

„Kesselbrink!“ behauptete Frank. „Den kennst du, ist auf Listenplatz 2 bei Rot-Weiß. Hat früher Oberliga Handball gespielt. Der Schöne, du weißt doch…!“

„Ja, Kesselbrink, klar, aber … woher weißt du, dass er …?

„Na, ich hab sie erwischt. Zweimal schon. Das letzte Mal vorgestern. In meinem eigenen Haus.“

„Den Kesselbrink und die Karen.“ Klaus war fassungslos und begann leicht zu frösteln.

„Na klar. Die waren doch schon in der Schulzeit zusammen. Und Kesselbrink hatte damals in die Würzmischungsfabrik eingeheiratet. Hat ein schönes Sümmchen kassiert, bei der Scheidung. Das ist ein Pärchen sage ich dir. Bonnie und Clyde fürs Standesamt.“

„Das kann nicht sein“, sagte Klaus halblaut und mehr zu sich selbst.

„Doch, doch, glaub mir, die waren all die Jahre über zusammen. Ich bin sicher, die betrügen mich schon seit ewigen Zeiten. Dreckspack! Komm wir trinken noch ein Ärschle.“

„Nein! Jetzt nicht“, rief Klaus erregt und zitterte am ganzen Körper.

Wie konnte er sich bloß einbilden, dass eine Frau wie Karen, ihn … „Ich Idiot“, rief Klaus.

„Recht hast du, aber warum kommt die Erkenntnis jetzt, wenn ich fragen darf?!“

Frank schien seinen Humor wiedergefunden zu haben, und die Sache mit der Scheidung nicht mehr allzu ernst zu nehmen. Vielleicht war es auch der Alkohol, der ihn entspannte.
„Ich muss aufs Klo“, stellte Klaus sachlich fest und stand abrupt auf.

Noch war nichts geschehen. Er musste nur runter in den Keller und die Flasche verschwinden lassen. Dann war alles wieder gut.

*

Die Tür war schnell wieder geöffnet. Klaus nahm die Flasche aus dem Regal und wollte sie in Klo kippen. Doch sein Blick war auf die Zapfanlage gefallen. Es war der Blick eines Eichmeisters. Klaus sah den Wasseranschluss mit Zeitschaltuhr, der irgendwie in den Fasskühler führte und der keinesfalls der Kühlung dient. Er vergaß die Flasche und schaute sich die Zapfanlage genauer an.

*

„War der nicht eben erst?“ fragte die Wirtin belustigt. Sie stellte noch zwei frische Blondinen auf den Tisch.

„Tja, der Mann vom Eichamt hat ‘ne schwache Blase, was? Wahrscheinlich ein vorzeitiger Füllstandsalarm“, scherzte Frank und nahm einen kräftigen Schluck.

Er hatte nicht bemerkt, wie sich Mine der Wirtin verzogen hatte und sie plötzlich ernst geworden war.

„Vom Eichamt?“

„Ja, Eich wie Baum und Amt wie stur“, flachste Frank weiter. Die Bedienung aber machte auf dem Absatz kehrt in Richtung Tresen.

*

„Was machen Sie da?!“ schnauzte die Wirtin. „Wollen Sie hier Schnaps klauen?“

„Was? Ach Quatsch“, entgegnete Klaus.

„Und wieso haben Sie eine Flasche Hundsärsch in der Hand?“

„Das tut doch jetzt gar nichts zur Sache“, behauptete Klaus und stellte die Flasche auf dem Fasskühler ab. „Wichtiger ist doch wohl die Frage, was diese Wasserleitung hier zu suchen hat?“

„Das geht Sie gar nichts an!“

„Da irren Sie gewaltig!“ Klaus zeigte seinen Ausweis. „Ich bin nämlich vom Eichamt.“

„Na und!“

„Gute Frau, ich habe so etwas, wie das hier, überhaupt noch nie gesehen. Diese Wasserleitung geht zeitgesteuert direkt an die Zapfanlage. Je später der Abend, desto mehr Wasser im Bier, ja? Hier kann man deutlich sehen, dass wir um diese Uhrzeit bei mindestens 12% Wasserzufluss sind. Da muss ich gar nicht lange rechnen, bei einer durchschnittlichen Verdünnung von 8 bis 10% macht das mindesten ein Umsatzgewinn von 200 bis 300 Euro am Tag. Das ist ein riesen Betrug.“

Dir Wirtin war still geworden. „An ihrer Stelle hätte ich da jetzt nicht so genau hingesehen“, zischte sie drohend.

„Ich werde diesen Laden hier zumachen, da können Sie sich drauf …“

Klaus hatte nicht mal mitgekriegt, wie die Wirtin ausgeholt hatte.

„Gar nichts wirst du“, keuchte die Wirtin. „Kann ich was dazu, dass mein Mann immer beim Kartenspiel verliert? Hää? Aber dafür hat er halt Glück in der Liebe. Ich tue alles, um das Geld für seine ewigen Spielschulden aufzutreiben. Und wenn ich einen wie dich, …“

Inzwischen hatte die Wirtin Klaus mit ihrem ganzen Gewicht überrannt. Sie lag schwer auf ihm und versuchte fortwährend, auf ihn einzuschlagen.

„Nun seinen Sie vernünftig, hören Sie auf …“

Er hatte sich gewehrt und dabei ungeschickt an der Bluse der Wirtin gerissen. Sämtliche Knöpfe waren abgesprungen und zu Boden gefallen. Klaus drückte die Frau an den Brüsten von sich runter. Die Wirtin rappelte sich schwerfällig, aber immer noch schnell genug wieder auf.

„Tut mir leid, aber ich wollte sie nur von mir runter drücken“, entschuldigte sich Klaus.

Die Wirtin schien es überhaupt nicht zu interessieren, dass er ihr, im Eifer des Gefechtes, an die Brüste gegriffen hatte. Sie schien etwas zu suchen und hatte es in diesem Moment gefunden.
Die schwere, eiserne Bratpfanne traf Klaus mehrmals am Kopf und er sackte benommen auf die Knie.

„Mich ruinierst du nicht, Bürschchen“, zischte die Wirtin und holten zu den letzten 20, entscheidenden Schlägen aus.

„Leg dich nicht mit einer gelernten Fleischereifachverkäuferin an“, knurrte sie, während sie die Leiche in der riesigen Blutlache betrachtet.

„Dann gibt es morgen eben frische Mettbrötchen im Angebot.“

Die Wirtin wusch sich die Hände und Unterarme und stopfte die kaputte Bluse so in den Rock, dass es kaum auffiel, dass sie keine Knöpfe mehr hatte. Dann griff sie nach der Flasche, die Klaus auf den Fasskühler gestellt hatte und nahm sie mit den Schankraum. Gäste waren keine mehr da und der betrunkene Kollege würde den einen oder anderen Blutspritzer, bei diesem schwachen Licht, ganz sicher nicht bemerken.

*

„War nicht die Blase“, erklärte die Wirtin und stellte die Flasche auf den Tisch. „Ihrem Kollegen ist wohl ziemlich schlecht geworden. Verträgt nichts, was? Ich soll Ihnen sagen, dass er schon mal nach Hause gegangen ist.“

„Schwächling“, grunzte Frank. „Gut, dass sie sich so um ihre Männer kümmern, sonst wäre der da unten bestimmt noch auf dem Klo entschlafen.“

„Das kannst du laut sagen“, bestätigte die Wirtin. „Ich kümmere mich um die Männer.“

Die Wirtin schenkte zielsicher zwei Hundsärsch ein.

„So, mein Süßer. Wir zwei Harten trinken jetzt erst mal einen“, frohlockte sie geradezu und erheblich leiser fügte sie hinzu: „Morgen kannst du dich dann hoffentlich an nichts mehr erinnern.“

Sie wusste allerdings nicht, wie Recht sie damit hatte.


Epilog

Am nächsten Tag titelte die Donau-Zeitung: „Zum blutigen Ochsen – die Tragödie in Dillingen“.

Für Kommissar Voglsang war die Sache vollkommen klar. Die Wirtin mit offener Bluse, die Leiche des einen Liebhabers im Keller, der andere vergiftet am Tisch. Offenbar war es zum Streit zwischen zwei Männern, um die Gunst der Wirtin gekommen. Und nachdem der eine, den anderen im Keller erschlagen hatte, beschloss die Wirtin den Überlebenden und sich selbst zu vergiften. Oder umgekehrt. Ein typisches Eifersuchtsdrama eben mit anschließenden, nicht ganz freiwilligen Suizid. Für Voglsang war die Akte damit geschlossen.

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