Weihnachtsmänner

unter sich

Es war schon dunkel so früh am Nachtmittag. Die Straßen waren matschig braun mit weißen Glanzpunkten, wo der Schnee noch nicht von den vielen Passanten niedergestampft worden war. Jochens Füße fühlten sich kalt und nass an, sie waren aber knochentrocken. Der Frost stieg ihm die Beine hoch und würde bald seinen Bauch erreichen. Nur unter dem dicken weißen Bart schwitzte er und die billigen Kunststoffhaare juckten wie verrückt. Er konnte sich leider nicht kratzen, denn er musste ja den schweren Jutesack über seiner Schulter festhalten. Jedes Jahr das gleiche Theater. Die Kinder wollten Geschenke, seine Frau und natürlich auch er selbst. Aber dafür reichte sein Gehalt nun wirklich nicht, schon gar nicht, wenn er die Urlaubsreise für den Sommer gebucht und angezahlt hatte.

Vor drei Jahren jedoch, war ihm diese einmalige Idee gekommen. Er hatte sich hier vor dem Kaufhaus als Weihnachtsmann einstellen lassen. Das brachte zwar längst nicht genug ein, um davon das Fest finanzieren zu können, doch es war die perfekte Tarnung. Wie auch in den Jahren zuvor nutzte er seine Aufwärmpause, um seinen Sack wieder aufzufüllen. Aber nicht nur mit dem billigen Nippes aus Taiwan, den er für das Kaufhaus als nette Werbegeste verteilen sollte.

Auf dem Weg zum Lager schaute er mal in dieser, mal in jener Abteilung vorbei, betrachtete die Regale und verstaute ganz unten im Sack das eine oder andere Geschenk für seine Familie. Sogar die Weihnachtsgans kam auf diesem Wege in seinen Ofen. Tiefgefroren versteht sich. Und während er dort draußen bei minus zwei Grad mit der Gans tief in seinem Rucksack verstaut stand, brauchte er nicht einmal Angst zu haben, dass sie antaute. Nein, dieser Job war wirklich perfekt, so um Weihnachten.

Außer der Gans war heute noch das Geschenk für seine Frau dran. Unschlüssig durchforstete er die Parfum-Regale. Nach Schmuck hatte er schon gesehen. Doch der wurde von einer kräftig gebauten Mittvierzigerin gut bewacht. Die Frau sah nicht so aus, als wenn sie ein Problem damit gehabt hätte, sich bei dem geringsten Verdacht auf einen vollbepackten Weihnachtsmann zu stürzen und ihn zu Boden zu werfen. Das schien Jochen zu riskant. Schmuck oder Parfum, etwas anderes konnte man einer Frau doch wohl kaum schenken. Also blieb nur Parfum.

„Coco Chanel“, das klang nach frischen Nüssen. Wohl das richtige für Weihnachten. Vielleicht ein wenig zu viel Südsee, aber das stimmte sie auf den Sommerurlaub ein. Schnell und geschickt ließ Jochen das Fläschchen im Sack verschwinden. Schade, dass er es auf diese Weise nicht als Geschenk verpacken lassen konnte. Er musste dringend daran denken, noch etwas Geschenkpapier mitgehen zu lassen.

Plötzlich stellte Jochen fest, dass neben ihm noch ein Weihnachtsmann stand. Der lächelte ihn durch den gleichen albernen Kunstbart freundlich an.

„Hallo, Kollege“, sagte Jochen.

„Hoh, hoh, hoh“, gab der andere breit grinsend zurück.

„Hast du es gut, du brauchst keinen Sack zu schleppen“, scherzte Jochen, als er bemerkte, dass der andere Weihnachtsmann nur mit einer Rute ausgestattet war.

„Dafür trage ich das hier“, antwortete der andere immer noch breit grinsend und zeigte ihm einen Ausweis, der ihn zum Ladendetektiv machte. Jochen spürte auf einmal die Kälte der gefrorenen Gans eiskalt auf dem Rücken.

„Darf ich da mal rein sehen?“ forderte ihn der Detektiv auf.

Jochen war kein geübter Ladendieb und nun ergriff ihn pure Panik. Das würde ein Weihnachten geben, wenn sie ihn jetzt festnahmen! Er zögerte nicht lange und rannte los. Der zweite Weihnachtsmann, die Rute wild schwingend, ihm dicht auf Fersen. Durch die Strumpfabteilung, die Süßigkeiten-Abteilung, Schreibwaren, Zeitschriften und immer standen den Weihnachtsmännern Kunden im Weg, die unsanft zur Seite beförderte wurden. Dann war endlich der Ausgang in Sicht.

Jetzt ging auch noch der Alarm los. Jemand schrie dicht hinter ihm: „Haltet den Dieb.“ Jochens Herz überschlug sich fast. Er hatte endlich den Ausgang erreicht und sah sich um.

„Da, der Weihnachtsmann dort!“ schrie eine Frau in die irritiert glotzende Menge. Aber sie zeigte gar nicht auf Jochen. Da war noch ein dritter Weihnachtsmann, genau zwischen ihm und dem Detektiv. Der hatte den zweiten Dieb nun auch gesehen. Er überlegte kurz. Der andere war näher.

„Er hat die ganze Kasse“, schrie die Verkäuferin. Der Detektiv stürzte auf ihn zu. Jochen sah die Pistole. Der Detektiv sah sie viel zu spät und der Räuber hielt sie ihm in diesem Moment direkt vor die Augen.

„Er hat eine Pistole!“ kreischte die Verkäuferin viel zu spät. Damit war für Jochen die Sache klar, denn der Detektiv war jetzt in echter Gefahr. Jochen machte die sechs Schritte die nötig waren und befand sich nun dicht hinter dem Bewaffneten. Er holte mit dem Sack aus und die tiefgefrorene Gans krachte dem Bösewicht an den Kopf. Der Detektiv stürzte sich sofort auf den Räuber. Ohnmächtig lag der Verbrecher nun unter dem Detektiv, der zu Jochen hochsah.

„Vielen Dank“, sagte der Detektiv, „aber, was zum Teufel hast du da in dem Sack?“

„Den Weihnachtsbraten – tiefgefroren«, antwortete Jochen wahrheitsgemäß und wusste, dass das gar nicht gut für ihn aussah.

„Hhmm“, brummte der Weihnachtsdetektiv. „Ich schulde dir was, also sieh zu, dass der Braten auch im Ofen landet.“

Jochen blieb unschlüssig stehen.

„Verschwinde endlich, sonst muss ich dich noch festnehmen! Und lass dich nicht wieder von einem Weihnachtsmann erwischen“, rief ihm der Detektiv nach. „Ho, ho, ho, – ein schönes Fest.“


Weihnachtsmänner unter sich (86) - © Copyright bei Ingolf Behrens, Hamburg, 1997. Alle Rechte vorbehalten.