Die Kontonummer

„Ich weiß, daß Sie das können. Helfen Sie mir!“

„Nein, ich kann Ihnen da wirklich nicht helfen.“

„Aber Sie haben Irene auch geholfen!“

„Das war ein Liebeszauber, das ist ganz etwas Anderes. Sie wollen mit einem Toten sprechen.“

„Aber nicht lange. Es geht doch nur um eine Nummer. Er soll mir nur die Nummer sagen, sonst nichts!"

„Das ist trotzdem zu gefährlich. So eine Verbindung ins Jenseits geht nicht nur in eine Richtung.“

„Aber was soll denn schon passieren. Er ist doch tot.“

Die Hexe schaute Heike nachdenklich an. Sonderlich intelligent schien Heike nicht eben zu sein.

„Bitte, bitte, nur ganz kurz etwas fragen …“

Wenn sie es spannend machte, könnte diese Heike ihre Haushaltskasse deutlich aufbessern. Aber eine Nummer? Die könnte sie wohl kaum erraten und dann würde der Schwindel auffliegen.
„Ich zahle auch das Doppelte, wenn das Risiko nun mal so hoch ist.“

Die Hexe entzündet anstelle einer Antwort, die halb herunter gebrannte Kerze auf dem Tisch. Herrgott, sie war eine Wahrsagerin und diese dusselige Kuh verlangte von ihr die Nummer eines Schweizer Bankkontos herauszufinden.

„Wir können es ja versuchen, aber garantieren kann ich für nichts …“

Heike nickte begeistert. Warum hatte ihr idiotischer Mann auch nirgendwo die Nummer seines Schwarzgeldkontos notiert. Das war doch paranoid! Was hatte er gedacht, was aus ihr werden sollte, wenn er plötzlich am Herzinfarkt starb und nirgendwo die Kontonummer hinterlegt hatte.

Die Hexe hatte inzwischen weitere Kerzen angezündet und starrte nun konzentriert in die Flamme. Sie mußte Zeit gewinnen, weil sie nicht die geringste Ahnung hatte, was sie dieser Frau sagen sollte.

„Und?“

Zur Sicherheit fing die Hexe mit tieferer Stimmlage ein wenig an zu summen.

„Und?“ drängte Heike wieder.

Offensichtlich war Heike genauso ungeduldig, wie schlicht. Eine ungünstige Kombination. Für solche Fälle hatte die Hexe immer etwas Schwarzpulver in ihrer Rocktasche. Sie hob scheinbar flehend die Arme und rief mit zitternder Stimme den Beelzebub an. Das Tremolo in der Stimme hatte sie lange vor dem Spiegel geübt. Unauffällig streute sie etwas Schwarzpulver in die Flamme der Kerze.

Es zischte und eine kleine Rauchwolke bildete sich.

„Huch“, quiekte Heike laut. „Ist er da? Kann ich mit ihm sprechen.“

Die Hexe nickte vielsagend und stellte sich darauf ein nunmehr mit ganz, ganz tiefer Stimme zu antworten.

„Thorsten, du Idiot, du hast mir nicht gesagt, welche Nummer das Schweizer Bankkonto hat!“

Fast hätte die Hexe lachen müssen. Wer spricht denn so seinen geliebten, aber toten Ehemann an?

„Hast du was zu schreiben?“ fragte Hexe und versuchte die Laute, mit geschlossenen Augen, nur in ihrem Kehlkopf zu preßen.

„Na klar, doch, Liebling!“ Die frisch gebackene Witwe kramte aus ihrer Handtasche einen Stift und kleine Notizbuch hervor.

„Bin soweit!“ rief sie aufgeregt.

„CS“, diktierte die Hexe aus dem scheinbaren Off.

„Credit Suisse! Das weiß ich ja. Die Nummer! Ich brauch die Nummer!“

„14 01 63“, riet die Hexe auf gut Glück drauf los. „Hast du das?“

„Weiter!“ kommandierte Heike genervt.

Egal wieviel Zeit sie gewann, die Wahrscheinlichkeit die richtige Nummer zu erraten erhöhte sich dadurch nicht mindesten.

„B 30 72 …“ Die Hexe mußte sich jetzt ganz dringend etwas einfallen lassen.

„Eine noch!“ schrie Heike völlig aufgelöst. „Eine Zahl fehlt noch!“

„Die sage ich dir nicht!“ behauptete die Hexe mit ihrer Geisterstimme. Schließlich hatte sie die Kontrolle über Leitung ins Jenseits.

„Was?“ Heike war entsetzt. „Warum den nicht!“

„Du hast mir in den letzten Jahren zu oft den Sex verweigert!“ behauptete die Hexe in ihrer Not mit geübter Grabesstimme. Ihrer Erfahrung nach kam das eigentlich immer hin. In jeder Beziehung kam irgendwer immer zu kurz.

„Ich habe was?!“ Heike war außer sich und schnappte hyperventilierend nach Luft.

„Du hast mich nicht geliebt, und dich mir viel zu oft verweigert!“

Die Hexe spürte, daß sie auf dem richtigen Weg war.

Heike war aufgesprungen. „Jeden Tag habe ich deinen mickrigen Pimmel gelutscht, … glaubst das war ein Zuckerschlecken!“

„Na ja“, stellte die Hexe einfach nur fest und hatte vergessen dabei die Stimme zu verstellen.

„Du Arsch!“ schrie Heike an der Grenze zur Hysterie. „Für das bißchen Sicherheit habe ich jahrelang die Beine breit gemacht?! Und jetzt! Bestimmt hast du eine andere, eine jüngere und der hast du Nummer gegeben! Stimmt’s!?“

„Nein, niemals!“ behauptete die Hexe und unterdrückte mühsam ein Lachen. „Ich hasse wirklich nur dich!“

Das gab Heike den Rest. Sie drehte völlig durch. Stampfte mehrfach auf den Boden und drohte dem unsichtbaren Gatten mit der Faust und ihre Stimme überschlug sich bis zu einem nervenden Krächzen.

„Sag mir die Zahl!“

„Nein.“

„Du Schwein! Du gottverfl…“


*

Wie gesagt Kontakt zu einem Toten aufnehmen war gefährlich, die Sache lief immer irgendwie in beide Richtungen.

Heikes Gesicht hatte in diesem Moment eine fahle, ungesunde Farbe angenommen. Das Schreien und Zetern hatte plötzlich aufgehört und die übergewichtige Frau kippte einfach so zur Seite. Sie schlug ungebremst auf dem Fußboden auf. Infarkt.

Die Hexe hatte früher als Krankenschwester gearbeitet und wußte sehr genau, was tun war. Reanimation. Leider trug Heike trug ein sehr starres Korsett mit Fischgräten. Das mußte die Hexe wohl öffnen, um eine Herzdruckmassage vornehmen zu können.

Doch als die Hexe die Brust vom Korsett befreit hatte sah sie Tätowierung: „Mein Herz für dich!“ stand daß in reich verzierten Lettern. Darunter Zahlen, die aussahen wie GPS Koordinaten, aber es fehlte das Gradzeichen und die Himmelsrichtung. Der Hexe war sofort klar, das war ein Nummernkonto. Konnte diese Heike wirklich so blöd sein? Yes, she can.

Bedächtig nahm die Hexe ihre Hände von Heikes Brustkorb und beschloss zur Sicherheit doch lieber einen Krankenwagen aus der Stadt zu rufen.

Bis es der Rettungsdienst hier raus geschafft hatte, wäre die Hexe wohl reich.


Die Kontonummer (153) - © Copyright bei Ingolf Behrens, Hamburg, 2022. Alle Rechte vorbehalten.