Die Erste

Kurzkrimi

Bisher hatte sie ihn nicht bemerkt. Noch drei Schritte vielleicht, dann könnte er sie packen. Er durfte jetzt kein Geräusch machen. Bei jedem Schritt setzte er die Hacke sorgfältig auf und rollte langsam über den ganzen Fuß ab.

Jetzt! Seine Hände griffen nach ihrem Hals. Ein erstes Quicken konnte er nicht verhindern. Er drehte das Flittchen um und sah ihr in direkt in die Augen. Seine Hände lagen wieder auf ihrem Hals und drückten mit aller Kraft zu. Es kamen nur noch krächzende und gurgelnde Laute von ihr. Ihre Augen waren angstgeweitet und man konnte die Erkenntnis, daß dies ihr Ende war in ihnen sehen. Gleich würde er das Aufgeben und dann das letzte Flackern in ihnen sehen. Das war der Moment, den er in Gedanken …

Das war doch alles scheiße. Markus markierte den ganzen Absatz und verschob ihn in den Mülleimer. Warum gelang es ihm nie solch einen Mord so zu beschreiben, als wäre man selbst dabei? Warum hatte er sich überhaupt auf Krimis spezialisiert? Morden war doch gar nicht sein Ding.

Markus nahm die Whiskey-Flasche aus der Schublade, sie war noch Dreiviertel voll, schraubte sie auf und nahm einen Schluck. Widerlich. Das Zeug brannte im Mund, in der Speiseröhre und dann auch noch im Magen. Das war auch so eine Bilderfolie. Daß man als Autor trinken mußte. Und beim Schreiben half es auch nicht wirklich.

Sein Erfolg lag immer in der umfangreichen Recherche. Als er die drei Bände über Kommissar Nousie, die in Paris spielten hatte er sich dutzende Bilder aus der Stadt angesehen. Er hatte sich auch dutzende von Real-Crime Serien und haufenweise Horrorfilme angesehen, um sich ein Bild von dem Vorgang des Tötens zu machen. Aber es half alles nichts. In diesem speziellen Fall mußte er raus in Welt. Markus haßte die Welt. Markus haßte auch das raus. Hier war der Ort an dem lebte. Nicht da draußen. Von da draußen kamen die Lieferanten, die ihm alles brachten, was er brauchte.

Aber nun war es Zeit. Er nahm noch einen Schluck Whiskey, wenn er die Deadline einhalten wollte, mußte er sich sputen.

Den Kleiderschrank hatte er bestimmt seit zwei Jahren nicht mehr geöffnet. Er vermied es preiswürdige Geschichten zu schreiben, um nicht zu Festakten gehen zu müssen. Er wollte seine Wohnung nicht verlassen. Die Jeans schien ihm unauffällig genug und daß grüne Sweatshirt vielleicht. Hatte er überhaupt eine Jacke? Er sah an der Garderobe im Flur nach. Vermutlich aber eine Sommerjacke. Es war Herbst. Trotzdem für seine Zwecke bestens geeignet. Damit war beweglicher und könnte sich besser anschleichen.

Ja es war Herbst, ohne Frage. Glitschige Blätter erschwerten das ungewohnte Gehen auf Betonplatten. Wo sollte er hin? Mehr Blätter rieselten von den Bäumen, die Welt sah so trostlos aus, wie er immer befürchtet hatte. Ziellos schlenderte er die Allee lang, die zu seinem Haus führte und hielt Ausschau nach einer geeigneten jungen Frau.

Tatsächlich war hier niemand. Gab es überhaupt noch Menschen. Doch. Da. Eine ältere Frau führte ihren Hund aus. War das Alter von Bedeutung? Beim Sterben doch wohl eher nicht. Aber der Hund machte ihm Sorgen. Was, wenn der nicht freundlich gesonnen war, wenn er sein Frauchen abmurkste.

Markus lächelte milde. Das war notiert für den nächsten Fall. Vielleicht in einem Park. Ein Park. Am Ende der Straße links war ein Park. Das war nicht weit und tatsächlich erfolgreich. Auf einer der Bänke saß eine junge Frau, vermutlich Liebeskummer, jedenfalls schien sie dort allein Alkohol zu trinken und zu rauchen.

Markus behielt sie im Auge, während er die Gegend nach möglichen Zeugen absuchte. Es war Herbst. Also schlug er sich in die Büsche, die den Park umgaben. Vorsichtig arbeitete er sich durch das Gesträuch, bis er sich ziemlich genau hinter der Bank befand. Er schaute noch mal in alle Richtungen. Niemand zu sehen.

Auch die Frau hatte ihn bisher noch nicht bemerkt. Es waren vielleicht noch drei Schritte, dann könnte er sie von hinten packen. Jetzt sollte er besser kein Geräusch mehr machen. Bei jedem Schritt achtete er auf Zweige, die knacken könnten. Er setzte seinen Fuß sorgfältig ab und bewegte sich konzentriert durch die Sträucher.

Jetzt! Er stand unmittelbar hinter ihr. Seine Hände griffen nach ihrem Hals. Ein erschrecktes Quicken ließ sich wohl nicht verhindern. Er ließ ihren Hals nicht los und stieg von hinten über die Rücklehne der Parkbank und drückte das Flittchen auf die Sitzfläche. Markus sah ihr in direkt in die Augen. Seine Hände schlossen sich immer enger um ihrem Hals und drückten mit aller Kraft zu. Es kamen nur noch krächzende und gurgelnde Laute aus ihrem Mund. Die Augen hatten sich vor Angst stark geweitet und spiegelten das Wissen wider, daß ihr Leben gleich zu Ende wäre. In wenigen Sekunden würde er das Aufgeben in ihrem Blick erkennen können und dann noch das letzte Flackern des Todes.

So war das und nicht anders. Er lockerte ein wenig den Griff, als sie tot war. Sofort hustete sie wieder. Das war wohl nur eine Ohnmacht. Schnell drückte er wieder mit aller Kraft zu. Diesmal gäbe er nicht zu früh nach.

Wie lange mußte man jemanden würgen, bis man sicher sein konnte, daß er tot war? Markus warf einen Blick auf die Armbanduhr. Es fiel ihm nicht schwer dem Sekundenzeiger hier gleich unter der Laterne zu folgen.

Eigentlich war das Wahnsinn jemanden in einem öffentlichen Park und dann noch im Schein einer Laterne zu erwürgen. Aber niemand war hier. Niemand schien sich zu kümmern.
Nach inspirierenden, viereinhalb Minuten, versuchte er erneut seinen Griff zu lockern. Er lauschte auf jedes Geräusch. Aber da war keins mehr. Das Flittchen war tot.

Markus erhob sich, ordnete seine Sachen und sah sich unsicher um. Nichts. Niemand hatte ihn gesehen, Motiv Fehlanzeige, Verbindung zum Opfer Fehlanzeige. Sie würden ihn nie erwischen.
Nach ein paar Schritten war Markus klar, wie leicht das Morden in Wirklichkeit war. Mit jedem Schritt weg vom Tatort wurden seine Schritte beschwingter. Das wars. Jetzt hatte er ein Gefühl dafür. Zukünftig könnte er Morde wirklichkeitsnah beschreiben. Vielleicht sogar preisverdächtig. Aber da mußte er aufpassen.

*

Das war die Erste. Von nun an würden seine Geschichten, den Nimbus erstaunlicher Wirklichkeitsnähe erreichen. Wie auch immer sich dieser Fall entwickeln würde, als nächstes mußte unbedingt ein schwarzer Paketbote dran glauben. Warum? Das wird sich schon noch finden.


Epilog für alle, die offene Enden nicht ertragen


Markus, wollte sich gerade einen Kaffee kochen, weil er eine lange und fruchtbare Schreibsession vor sich sah, als es an der Tür klingelt.

Besuch bekam Markus eigentlich nie. Schon gar nicht um diese Uhrzeit. Hatte er etwas bestellt, was nicht pünktlich geliefert worden war. Vielleicht hatte er Glück und es war ein schwarzer DHL-Fahrer.
Aber es war kein schwarzer Paketbote. Tatsächlich war es eine Farbige und blasser Typ im Lodenmantel.

Markus schaltete nicht sofort. Die vier Uniformierten Polizisten, die hinter den Beiden standen konnte er nicht sofort zuordnen.

Auch, als die Kommissarin ihm einen Computerausdruck hinhielt, auf dem er ganz offensichtlich eine Frau auf einer Parkbank erwürgte, war ihm noch nicht ganz klar, worauf das hier alles hinauslief. Es war auch nicht hilfreich, daß der blaße Typ einen seiner Romane hochhielt und umdreht. Auf der Rückseite war nur ein Klappentext und sein Abbild zu sehen. Für sowas hatte er jetzt keine Zeit, er mußte seine Inspiration zu Papier bringen.

„Sie wissen schon, daß die meisten Parks heute Videoüberwacht sind?“ fragte die Polizistin, während sich die Uniformierten in den Vordergrund drängten und versuchten Markus Handschellen anzulegen.