Gina wird wild

Kurzthriller

„Gina, bitte leg das Messer hin!“ rief Jan erschreckt, als seine Frau sich mit dem Tranchiermesser, von der Gans ab- und ihm zuwandte. „Ich schwöre dir, da ist keine andere Frau“, versuchte Jan sie zu beschwichtigen. Aber seine hysterisch zittrige Stimme konnte Gina nicht recht überzeugen. Gina war ganz ruhig, aber innerlich schien sie fast zu bersten. Wenn man genau hinsah, konnte man den Dampf erkennen, der sich seinen Weg durch Nase, Ohren und vielleicht sogar durch ihre Tränenkanäle bahnte. So aufgebracht hatte Jan sie noch nie erlebt. Was ihm aber wirklich Angst machte, war die vorgeschobenen, Ruhe, mit der sie den Griff des Messer, mit weißen Knöcheln fest umschließend, in sanften Bewegungen vor ihm hin- und herführte.

„So, und was hast du dann gemacht, an diesen Abenden«, presste sie ihre Stimme durch den fast geschlossenen Mund, »an denen du angeblich Kegeln warst?“

Rat- und hilflos starrte Jan in Ginas energisch fragende Gesichtszüge. Er konnte auf diese Frage nicht antworten.

„Na los, was hast du getrieben, … oder mit wem?“ zischte sie. „Ich will es wissen, – jetzt!“

Jan zuckte die Achseln. „Ist denn das so wichtig?“ Er wünschte, sie würde aufhören, ihn danach zu fragen. Wenn er es ihr hätte sagen können, wären sie ja jetzt nicht in dieser bedrohlichen Situation. Eine andere Frau! Lächerlich.

„Ja, das ist es. Ich will es wissen.“ Sie kam einen weiteren Schritt auf ihn zu. Inzwischen war sie auf Stichweite heranrückt. Jan erkannte, dass die falsche Antwort zu diesem Zeitpunkt einen ziemlich unglücklichen Verlauf in die Diskussion bringen konnte. “Hanseaten-Kegler! Und auf so was muss ich reinfallen.“

„Ich war beim Arzt.“ Das Beste schien ihm die Wahrheit zu sagen.

„Jeden Mittwoch?“

Zugegeben, das klang etwas dumm. Aber das war typisch, wenn man sich an die Wahrheit hielt. „Na, es war nicht so ein Hausarzt oder so was. Es ist mehr eine Art Therapeut.“

„Therapeut! Oder so was?“ Wenigstens war sie stehengeblieben und kam nicht mehr näher. »Willst du mich verarschen?“

„Aber nein.“

„In was für eine Therapie musst du denn da gehen, oder handelt es sich einfach nur um eine hübsche, rothaarige Therapeutin, die ein Problem für dich darstellt?“

„Es ist wegen der Gewalt“, sagte Jan, der begann sich sicherer zu fühlen. „Ich habe so oft Gewaltphantasien. Und die haben angefangen mir Angst zu machen.“

„Gewaltphantasien? Du und Gewaltphantasien! Ich lach mich tot? Davor brauchst du doch keine Angst zu haben. Wenn, solltest du lieber Angst vor mir haben, wenn ich dahinter komme, dass das nicht stimmt!“

„Nein, es ist wahr. Ich leide da wirklich ganz fürchterlich drunter.“

„Was sind das denn für Phantasien? Sagst du dem dusseligen Schröder mal laut die Meinung. Reißt die Registratur aus der Wand oder sperrst mutwillig den Rentenscheck einer armen alten Frau, die sich keinen Anwalt leisten kann?“

„Nein, es hat nichts mit dem Beruf zu tun.“

„Nein. — Ist klar. So, jetzt gib mir erst mal die Telefonnummer deiner Therapeutin. Oder hat die kein Telefon?“
„Es ist ein Mann“, sagte Jan, der inzwischen völlig ruhig mit glasigen, in ziellose Ferne gerichteten Augen dastand. „Hier ist seine Karte.“

Er gab ihr ein Stück Papier aus seiner Brieftasche.

„Na gut.“ Auch Gina schien sich wieder beruhigt zu haben. „Ich rufe da jetzt an.“

„Gina Kausch hier, entschuldigen Sie, dass ich so spät noch störe, Herr Doktor. – Ach kein Doktor. – Auch gut. Mein Mann lässt Ihnen ausrichten, dass er am nächsten Mittwoch leider verhindert ist. – Was? Woher ich weiß, dass er bei Ihnen in Behandlung ist? Ist er das denn nicht? – Er ist. Na, dann ist doch alles bestens. – Nein, er hat es mir eben erst erzählt. – Was heißt freiwillig? Ich habe ihn gefragt. – Nein, weil ich doch dachte, er hätte ein Verhältnis. – Na wegen dieser dauernden Treffen am Mittwoch. – Genau, und den Kegelklub gibt es nämlich gar nicht. Da habe ich mich erkundigt. – Was meinen Sie damit; ich soll sofort das Haus verlassen? – Er wird was? – Aber …“

In diesem Moment unterbrach Jan das Gespräch mit der freien Hand. In der anderen, und das war das Letzte was Gina in ihrem Leben sah, hielt er das Tranchiermesser, das er mehrmals auf sie niedersausen ließ.

Als die Polizei, in Begleitung des Therapeuten Hackbart in Jans Haus stürmte, fanden sie ihn ruhig in Küche sitzend. Er lächelt debil über den Rand seines dampfenden Kaffeebechers hinweg.

„Ich hab ja gesagt, dass sie versucht mein ganzes Leben zu kontrollieren“, flüsterte er, und die Polizisten legten ihm Handschellen über die blutverschmierten Hände. Ginas Leiche schwamm im Blut neben dem Telefon-Tischchen.

„Warum bloß?“ fragte Kommissar Bruhns und warf sich eine Handvoll Rennies ein. „Er hatte eine panische Angst, dass man ihn kontrollierte, eine schwere Paranoia. Alles was er brauchte, war ein Freiraum, um das alles durchzuhalten. Ein Geheimnis, verstehen Sie? Vor allem vor seiner Frau. Das war dann unsere Therapie. Immer wenn er sich in die Ecke gedrängt fühlte, befielen in diese Phantasien, alles was ihn versuchte zu kontrollieren, einfach zu töten – abzuschneiden. Seine Frau war jahrelang in Lebensgefahr. Aber sie wusste von nichts. Als er merkte, dass er immer öfter daran dachte, sie zu töten, kam er zu mir. Er war noch klar genug, die Gefahr zu erkennen. Mit der Therapie lief dann alles ganz gut. Er hatte seinen Freiraum und arbeitete bei mir seine Aggressionen ab. Sie hätte ihm einfach nur vertrauen müssen, und es wäre niemals etwas passiert.“

„Das ist auch ein Standpunkt“, fügte Bruhns hinzu schluckte die letzte weiße Tablette aus der Packung hinunter. „Ich bin nur froh, dass er kein Schulbusfahrer war … Sie wissen schon die Berichte … Das hätte einen riesigen Berg Akten gegeben. – Na danke!“

Gina wird wild (77) - © Copyright bei Ingolf Behrens, Hamburg, 1995. Alle Rechte vorbehalten.