Niko klaut's

Niko mochte den Winter. Wenn die Dunkelheit schon im fünf hereinbrach, konnte er wesentlich früher an die Arbeit gehen. Auch wenn die Nächte kälter waren, so musste er doch nicht bis zur klammen Nässe des Morgens schuften. Die Leute dachten, seine Arbeit wäre leicht, aber das war nicht so. Eigentlich war es Schwerstarbeit.

Kleine Siedlungen mit Einfamilienhäusern waren sein Revier. Im Schutze der Dunkelheit verschaffte er sich meist durch Gärten Zutritt zum Keller. Das war leicht. Die Kellertüren waren selten gut gesichert und häufig stand die Garage offen. Da waren die Zugänge zum Haus meist nicht einmal abgesperrt. Ja, die Bequemlichkeit der Menschen verschaffte ihm die Gelegenheiten, die er brauchte.

Mit seinem weißen, wuschigen Bart und dem Rucksack erweckte er meist den Eindruck eines Wanderers. Niemand nahm ihn wirklich zu Kenntnis. Erst wenn die Nachbarn sich am nächsten Tag von dem Einbruch erzählten, kam er wieder ins Gedächtnis. Aber wirklich beschreiben konnte ihn wohl niemand.

Gerade zur Vorweihnachtszeit waren Keller und Garagen ideale Objekte. Kaum zu glauben, wie viele Leute ihre Weihnachtsgeschenke dort versteckten. Und oftmals nicht einmal besonders gut. Zwei bis drei Häuser pro Straße, dann zog Niko meist mit vollem Rucksack weiter. Ja, Weihnachten war die beste Zeit des Jahres. „Der eine kauft’s und Niko klaut’s“, war sein Motto.

Schon lag wieder reiche Beute vor ihm. Ein offenes Kellerfenster und den Sack schon halb voll. Da könnte er heute früh Schluss machen.

Mit der Taschenlampe suchte er die Wände ab. Eine Waschküche. Gleich daneben ein Vorratsraum. Vielversprechend. Der Lichtkegel glitt durch die Regale und blieb an einer Kiste hängen. Eine Kiste im Keller, die nicht staubig war! So einfach konnte es sein.

Nikos Herz setzte für einen Schlag aus. Der Lichtkegel zuckte und wich auf den Boden aus. Dann wieder zurück. Nein. Er hatte sich nicht verguckt. Da saß ein Junge in der Ecke und starrte ihn ebenso erschreckt an wie Niko sich fühlte.

„Was ...?!“ mehr kriegte Niko nicht raus, seine Stimme krächzte. Er war noch nie erwischt worden.

„Hast du mich also doch gefunden.“

„Was? Was machst du hier?“ Nikos Hand zitterte.

„Ich verstecke mich vor der Rute.“

Der Junge war vielleicht vier oder fünf. Niko hatte da absolut keine Erfahrung mit Kindern.

„Welche Rute?“

„Meine Mutter sagt: Weil ich nicht brav war, kommt heut Abend der Nikolaus mit der Rute ins Haus!“

Niko schluckte.

„Ich dachte, wenn ich mir hier unten verstecke, findest du mich nicht“, fuhr der Junge fort.

Das Kind hielt ihn für den Nikolaus! Vielleicht wegen des Bartes und des Rucksackes. Niko war erleichtert.

„Was weiß deine Mutter schon vom Nikolaus“, versuchte Niko den Jungen zu beruhigen. Er sah, dass dem Kind die Tränen in den Augen standen. „Ich habe gar keine Rute, ganz ehrlich, das kannst du mir glauben.“

Der Junge war nicht überzeugt.

„Schau her!“ Niko öffnete seinen Sack und kramte darin. „Hier, das ist für dich!“ Er hoffte, dass es auch Spielzeug war, was er dem Kind da gab. Es war jedenfalls als Geschenk verpackt und sah nach Kind aus. Unauffällig ließ er den Namensanhänger verschwinden.

Der Junge nahm das Päckchen mit großen Augen an und bedankte sich artig.

„Der Niko ist kein böser Mann mit Rute. Kannst du mir glauben. Das denken nur die Erwachsenen. Am besten bleibt das unser Geheimnis, vor allem, dass ich überhaupt hier war. Einverstanden?“

Der Kleine schniefte noch ein wenig, aber nickte beruhigt.

„Also dann, bis zum nächsten Jahr! Ho ho ho!“ Niko sah zu, dass er hurtig aus dem Keller und besser noch aus dem ganzen Stadtteil kam. Ja, Weihnachten war für Diebe schon irgendwie die beste Zeit des Jahres.

Niko klaut’s (8) - © Copyright bei Ingolf Behrens, Hamburg, 2003. Alle Rechte vorbehalten.