Kassensturz

Kurzkrimi

Dies war sein dritter Supermarkt in diesem Monat. So langsam bekam er die nötige Routine. Zwei Tage lang hatte er diesen Laden beobachtet. Es war wie bei den anderen auch. Eine Stunde vor Ladenschluss wurde der Großteil der Einnahmen von den Kassen in das kleine Büro hinter der verspiegelten Glasscheibe gebracht, dort gezählt und in den Safe geschlossen. Es war ganz simpel: Kurz nachdem das Geld von der letzten Kassiererin beim Filialleiter abgeben worden war, verschaffte sich Frank Zugang zu dem Raum, hielt dem Filialleiter seine 38er an den Kopf und griff sich das Geld. Es blieb einem mindestens eine dreiviertel Stunde, bis der Überfall entdeckt wurde.

Wie sonst auch fesselte und knebelte Frank den Filialleiter, bevor er mit der Sporttasche voller Geld den Hinterraum verließ und sich wieder unter die Menge der Einkäufer mischte. Zielsicher ging er auf die kürzeste Kassenschlange zu. Heute war es hier ziemlich voll.

Vor Frank standen nur drei weitere Kunden an der Kasse, alle anderen Schlangen waren sechs bis sieben Personen lang. Seine Devise war, auf keinen Fall irgendwie aufzufallen. Deshalb reihte er sich ordnungsgemäß ein und nahm ein Päckchen Kaugummi aus dem Regal. Er war als Kunde gekommen und würde als Kunde gehen. Nach ziemlich kurzer Zeit wurde Frank klar, weshalb diese Schlange am kürzesten war. Die Kassiererin war neu und unendlich langsam. In der Zeit, die sie brauchte, um die beiden vor ihm mit ihren lächerlich kleinen Einkäufen abzufertigen, waren an den anderen Kassen bis zu fünf Kunden mit Familieneinkäufen durchgegangen.

Die schwergewichtige Brünette mit ihren Sauerkrautlocken vor ihm begann gerade den Inhalt ihres Einkaufswagens auf das Förderband umzuladen. Und was die alles kaufte, der Wagen war randvoll! Das würde bei dieser Kassiererin zur Verstopfung führen. Da hatte sie schon eine Laserkasse und musste trotzdem fast alle Preise von Hand eingeben und das mindestens zweimal. Nicht nur, dass sie nicht in der Lage war, die Ware so über den Laserstrahl hinwegzuführen, dass der EAN-Code einigermaßen gerade blieb, nein, auch das Eintippen der Zahlen bereitete ihr scheinbar unendliche Mühe.

„Piep“, ertönte es, wenn sie etwas über den Lichtstrahl gleiten ließ. Zwei, drei hektische Handbewegungen, zwei, drei „Pieps“, dann den Produktcode von Hand eingeben, „Piep“, erneutes Eingeben, geschafft.

Verzweiflung. Und jetzt die Dose Tomaten. Frank wurde langsam etwas unruhig. Von den Tomaten waren zwei Dosen da, ah – jetzt hatte sie es auch entdeckt. Zu spät für die 2fach-Taste. Der Laserstrahl hatte das Stück Butter in ihrer Hand gleich beim ersten Versuch akzeptiert. Frank sah noch einmal auf den Einkaufskorb der robusten Hausfrau vor ihm. Sie wäre als nächstes dran und bei der Menge könnte es sein, dass er hier noch eine gelassene Viertelstunde ausharren musste.

Plötzlich ertönte an der Kasse neben Frank ein helles Klingeln und ein Blinklicht rotierte grell.

„Kein Grund zur Panik“, sagte sich Frank. Er wusste, was das bedeutete. Die Kassiererin brauchte den zweiten Kassen-Schlüssel des Vorgesetzten, um eine Stornierung vorzunehmen. Im Klartext, wenn jetzt nichts geschah, würde sie irgendwann in der nächsten Minute aufstehen, und den Filialleiter suchen. Sie würde ihn gefesselt in seinem Büro finden, ausgeraubt, und er Frank, würde noch immer hier an der Kasse stehen. Eine Sache des Zufalls, wenn der Mann ihn nicht sofort wiedererkennen würde.

„Entschuldigen Sie!“ Frank tippte der Frau vor ihm höflich auf die Schulter. Er hielt erklärend sein Päckchen Kaugummi hoch. „Könnten Sie mich wohl vorlassen, ich hab …“

„Nein!“ kam es schroff zurück, noch bevor Frank zu weiteren Erklärungen ausholen konnte.

„Aber, ich habe doch nur …“, versuchte Frank es noch einmal ganz freundlich.

„Ich habe bereits diese Dame hier vorgelassen und sehen Sie, was ich davon habe!“ wetterte die Frau mit wutverzerrtem Gesicht los. „Bei dieser dusseligen Kassiererin hat mich das mehr als fünf Minuten gekostet.“

Es klingelte erneut an der Kasse neben ihm. Frank überlegte. Er wollte auf keinen Fall auffallen. An der Nebenkasse fingen die Kunden schon an zu schimpfen. Die Kassiererin schaute noch einmal genervt hoch zu der verspiegelten Scheibe, beruhigte eine hysterisch keifende Kundin, stand energisch auf und ging Richtung Filialleiter-Büro.

Frank legte das Kaugummi so auf den Ständer zurück, dass seine Kassiererin das auch mitbekam und wollte sich an der Dicken vor ihm vorbeischieben. Dann kaufte er eben nichts. Egal. Doch die massige Frau versperrte ihm den Weg.

„Hören Sie“, erklärte Frank mit einem leichten Anfall von Panik. „Ich will gar nichts mehr kau…“

„Das ist mir total egal, was Sie kaufen, Sie bleiben gefälligst hinter mir“, kreischte sie ihm hysterisch ins Gesicht. Für solche Auseinandersetzungen hatte Frank nun wirklich keine Zeit. Vorsichtig, aber mit aller Kraft drückte er sie so zur Seite, dass er durch konnte. Doch die Frau hielt ihn am Arm fest und riss ihn mit ungeahnter Gewalt zurück. Dabei schlug Frank gegen den Zigarettenständer, der umkippte und die fallengelassen Sporttasche mit dem Geld unter sich begrub. Jetzt hatte Frank nur noch einen Gedanken: Raus hier! Er sprang auf und wollte die Frau wie ein Footballspieler im Lauf zur Seite rammen. Doch die war verdammt beweglich für ihre rundliche Statur. Sie wich dem Angriff aus, Frank lief kurzzeitig ins Leere, wurde aber sofort am Kragen seiner Jacke zurückgezogen, dass ihm die Luft wegblieb.

„So ist das!“ schnaufte die die Frau. „Auch noch prügeln will er sich, na warte Bürschchen…“

Weiß Gott, wo sie so schnell den Schirm her hatte, mit dem sie ihm mehrmals heftig auf den Kopf schlug. Frank hob die Hände, um weitere Hiebe abzuwehren. Schon riss sie wieder an seinem Kragen und zwar so heftig, dass er erneut zu Boden ging. Doch diesmal riss er sie mit. Ein kurzer Triumph, denn Sekunden später landete sie schwer auf seinem Brustkorb.

„Überfall!“ schrie nun von hinten die Kassiererin, die inzwischen den gefesselten Abteilungsleiter gefunden hatte. „Wir sind überfallen worden.“

Die Sauerkrautlocken direkt über Franks Kopf hoben sich in Zeitlupe, und die Frau über ihm atmete ihm schwer ins Gesicht und prustete verschwitzt: „Hab dich, Bube!“

Kassensturz (42) - © Copyright bei Ingolf Behrens, Hamburg, 1997. Alle Rechte vorbehalten.