Nach Anruf Mord

Kurzkrimi

Die Heckklappe des Mercedes Kombi stand noch offen. Als Sperling im Morgengrauen den sandigen Weg vom Seeufer wieder heraufgestiegen war, schlug er sie mit aller Wucht zu und wischte sich seine Hände am mitgebrachten Handtuch ab. Für einen Mann, der seiner Frau gerade geknebelt und gefesselt im Keller seines Wochenendhauses deponiert hatte, wirkte Sperling erstaunlich gelassen. Aber dazu hatte er auch allen Grund, seine Tat war von langer Hand geplant und gut durchdacht. Zwei Tage käme sie wohl ohne Wasser aus, doch dann würde sie allmählich verdursten. Das ersparte es ihm, selbst Hand an sie zu legen. In einigen Tagen käme er wieder und würde ihre Leiche irgendwo hinbringen, wo sie in kurzer Zeit entdeckt würde, denn sonst käme die Lebensversicherung ja nicht zur Auszahlung.

Am späten Nachmittag rief dann Britta, seine Schwägerin, an und erkundigte sich, wo denn Andrea bliebe. Sie wären gegen Mittag verabredet gewesen und inzwischen sei es zu spät, um noch alles zu erledigen, was sie sich vorgenommen hatten.

„Ich weiß auch nicht, wo sie bleibt, sie ist bereits um zehn heut’ Morgen losgefahren. Vielleicht hatte sie eine Panne“, log Sperling frech in den Hörer.

„Es wird ihr doch wohl nichts passiert sein?“

»Aber nein, das kann ich mir nicht vorstellen«, erklärte Sperling und hatte alle Mühe ein Lächeln zu unterdrücken.

Erst gegen 22 Uhr täuschte Sperling echte Sorgen vor. Er traf sich mit Britta und gemeinsam gingen sie zur Polizei, um eine Vermisstenanzeige aufzugeben. Bei den Beamten lief alles seinen geregelten Gang: Anträge wurden ausgefüllt und Geduld war gefordert. Doch die hatte Sperling. Warum auch nicht? Er wusste ja, dass keine Eile geboten war.

Marantz war nur ein kleiner Ganove. Gelegentliche Diebstähle, Einbrüche und Zollschiebereien, alles in allem eher harmlos. Sperling und er hatten sich vor einigen Tagen in einer Bar kennengelernt. Das heißt, nicht eigentlich kennengelernt. Sie hatten ein paar Bier getrunken und dann hatte Sperling ihm ein Geschäft vorgeschlagen. Marantz sollte am Freitag um Punkt 11 Uhr eine bestimmte Telefonnummer anrufen und eine Entführung vortäuschen. Den Text hatte Sperling ihm genau aufgeschrieben.

Um kurz vor elf am folgenden Freitag bat Sperling die beiden Verkaufsleiter und seine Sekretärin zu einer kurzen Besprechung in sein Büro. Pünktlich um elf klingelte sein Telefon. Sperling bat die Anwesenden die Unterbrechung zu entschuldigen.

„Ja“, bölkte er knapp in den Hörer.

„Marantz hier. Also wir können wir anfangen?“

„Natürlich möchte ich wissen, wo meine Frau ist!“ rief Sperling, ohne auf Marantz Frage einzugehen.

„Ich habe Ihre Frau in meiner Gewalt, sie ist unverletzt und ich will Geld. Viel Geld!“

„Eine Entführung, mein Gott, das ist doch wohl ein Scherz.“

„Übertreiben Sie’s bloß nicht, sonst fällt das noch auf“, versuchte Marantz ihn zu zügeln.

Sperling schaute in die aufmerksam gewordenen Gesichter seiner Zeugen. Alles lief gut.

„Ist sie in Ordnung? Ich möchte mit ihr sprechen!“

„Das können Sie haben.“

„Gut, ich warte … Ja, Andrea? Mein Schatz, geht es dir gut?“

„Blah bla bla blah, bla bla blah“, grunzte Marantz in die Leitung.

„Keine Angst, ich werde alles tun, um dich freizubekommen … ja ich tue alles, was der Mann will.“

Sperling kontrollierte erneut die Blicke seiner Zeugen, jetzt kam noch das i-Tüpfelchen drauf, er schaltete seiner Sekretärin zunickend die Mithöranlage des Telefons ein. Hoffentlich hielt sich Marantz jetzt an den Text.

„Also, Sie werden 100.000 zahlen oder Sie sehen Ihre Frau nicht lebend wieder. Und keine Polizei, sonst stirbt sie einen furchtbaren Tod. Haben wir uns verstanden, ja?! Ich werde Sie wieder zu Hause anrufen und Ihnen genau sagen, wo und wann die Übergabe stattfindet“, krächzte es aus dem kleinen Lautsprecher an dem Telefon. Dann hängte Marantz ein und hatte sich den leichtesten Tausender seines Lebens verdient.

„Unglaublich“, greinte Sperlings Sekretärin hysterisch und die Verkaufsleiter starrten sich sprachlos an. „Sie müssen die Polizei informieren!“

„Aber ja“, sagte Sperling, der die Nummer schon wählte, „auch auf die Gefahr hin, dass … aber das ist wirklich eine Sache für die Polizei.“

Sperling war mit der Aktion vollstens zufrieden, sein Telefon zu Hause war verdrahtet, ein Polizist saß immer an dem Tonband bereit und ein Polizei-Psychologe durchstreifte derweil seine Küche auf der Suche nach etwas Essbarem. Die Beamten hatten die Zeugen befragt und waren von der Entführung überzeugt.

Aber der Entführer würde sich nicht mehr melden, das wusste Sperling. Natürlich wusste er auch, wen er dafür verantwortlich machen würde, wenn man in einigen Tagen seine Frau tot auffinden würde. Es war ja hinlänglich bekannt, dass die Polizei in diesen Fällen völlig unfähig war.

Vielleicht war sie das auch, aber einer war es garantiert nicht. Am späten Nachmittag erschien Hauptkommissar Bruhns in Sperlings Wohnzimmer.

„Tja, Herr Sperling, so eine Entführung ist eine schlimme Sache“, sagte er und sah Sperling eindringlich an.

„Schrecklich, wirklich! Und ich kann nur hoffen, dass meiner Frau nichts passiert ist – jetzt wo ich die Polizei eingeschaltet habe“, pflichtete ihm Sperling, nicht ohne ein innerliches Grinsen, bei.

„Ohh, das hoffe ich auch. Und zwar ganz besonders für Sie“, beteuerte Bruhns seelenruhig. „Denn, wenn ihr etwas zugestoßen sein sollte, könnte das ganz böse für Sie enden.“

„Bitte?“ fragte Sperling alarmiert.

Anstelle einer Antwort zog Bruhns ein Diktiergerät aus seiner Manteltasche drückte auf einen Knopf: „Blah bla bla blah, bla bla blah“, tönte es aus dem Gerät. Bruhns fügte dann hinzu: „Sie wollen mir doch nicht wirklich weismachen, dass das Ihre Frau ist, die da spricht.“

„Wo zum Teufel haben Sie dieses Band her?“ In Sperling stieg die Panik vom Magen hinauf bis ins Gehör. Dort verbreitete sie einen kleinen Sirenenton, den nur er hören konnte.

„Oh, ich habe mich in Ihrer Firma ein wenig umgesehen und habe dabei etwas Interessantes entdeckt: Das hier:“ Gelassen zog er die Kassette aus dem Gerät.

„In den letzten drei Monaten haben einige Angestellte in Ihrer Firma für mehrere zehntausend Euro mit Sexnummern in Übersee telefoniert und, um dem Täter diskret auf die Schliche zu kommen, wurden stichprobenweise von jedem Apparat Gespräche mitgeschnitten. Also habe ich hier, mehr aus Zufall, das ganze Gespräch vorliegen und nicht nur den Teil, den Sie für Ihre Zeugen über die Mithöranlage laufen ließen. Daher kann ich wirklich nur hoffen, dass es Ihrer Frau gut geht.“

Sperling schloss die Augen. Das war sein ganz persönliches Ende. Selbst, wenn Andrea wohl auf war, versuchter Mord blieb es allemal und das hieß für lange Zeit Gefängnis.



Nach Anruf Mord (69) - © Copyright bei Ingolf Behrens, Hamburg, 1997. Alle Rechte vorbehalten.