Sie trägt ein Kostüm

Er konnte sich noch genau an den Tag erinnern, als Lana Turner zur Tür herein kam. Frank saß am Tresen und wollte gerade ein weiteres kleines Weizen bestellen, als die Eingangstür geöffnet wurde und eine Gruppe von drei Frauen den Raum betrat. Unter ihnen Lana Turner. Eine Figur wie eine wohlgeformte acht, ondulierte und hochtoupierte hellbraune Haar, knallrote Lippen, hellblauer Lidschatten und ein steingraues Tweedkostüm, wie man es nur aus den fünfziger Jahren kannte.

Frank stand der Mund offen und er vergaß bei Lanas Anblick glatt sein Bier zu bestellen.

„Alles gut?“ fragte der Barkeeper. „Soll’s noch etwas sein?“

„Ja klar, noch ein Weizen bitte.“

Die anderen Frauen in der Gruppe waren der nichtssagenden Friseusentyp. Aufgepumpte Lippen, aufgepumpte Brüste, Candystick-makeup und natürlich tätowiert. Aber Lana! Ihre Hüften schwangen bei jedem Schritt. Wie aus dem Ei gepellt, mit dieser gefährlich spitzen Oberweite, die kein Chirurg hinkriegte.

Ein neues Glas wurde ihm hingestellt und der Barkeeper säuselte. „Alex. Das schon eine Marke.“

Widerstrebend wandte Frank seinen Blick von den Mädels, die sich Gott sei Dank an einen Tisch in seinem Blickfeld setzen, ab und sagte: „Du kennst diese Lana Turner?“

„Lana was? Ich dachte, du schaust Alex an, die mit dem Fimmel für die Fünfziger?“

„Genau“, erklärte Frank. „Kommt die öfter?“

„Drei, viermal die Woche. Aber wenn ich dir einen Rat geben darf, sprich sie nicht an. Die hat, … irgendwie nicht alle Tassen im Schrank.“

Na, ja, dachte Frank. Wer die Fünfziger Jahre als Fimmel und nicht als Lebensmaxime betrachtete, dessen Urteil war wohl nicht wirklich zu trauen.

Es bot sich auch gar keine Gelegenheit, Lana anzusprechen, so inmitten der Friseusen. Frank mußte wohl oder übel Geduld haben.

Die Gelegenheit bot sich, als Lana eine halbe Stunde später an den Tresen kam, kam sich Kleingeld für Zigaretten geben zu lassen. Lana rauchte. Das war doch eine Perspektive.

Frank nahm sein Bier mit auf die Terrasse und lauerte auf seine Lana. Und richtig einige Minuten später erschien Lana auf der Terrasse und steckte sich eine an. Obwohl Frank sie aufmerksam fixierte, verpaßter die dummerweise Gelegenheit ihr Feuer zu geben.

„Es wird allmählich kühl hier draußen!“ versuchte er eine Konversation zu starten. Er hatte extra kühl und nicht kalt gesagt, damit er nicht als Memme dastand.

Allerdings überraschte ihn die Ohrfeige so sehr, daß ihm schon ein kleiner Schmerzenslaut entwich.

„Was fällt Ihnen ein, einfach so eine Frau anzusprechen. Nicht einmal vorgestellt haben sie sich!“

Okay, das war jetzt auch eine Sichtweise, dachte Frank. Ihr wuterfüllter Blick konnte einem Angst machen.

„Entschuldigung“, sagte Frank, während sie ihn mit den strahlend blauen Augen fixierte wie die Katze ihre Beute.

„Ich bin der Frank!“ sagte er brav und zuckte nur kurz zurück, als ihn die zweite Ohrfeige traf.

„Was!?“

„Ich glaube kaum, daß wir Brüderschaft getrunken haben.“

„Nein, natürlich nicht, also Herr Bergmann.“ stellte er sogleich fest.

Sie nickte nur und nahm einen tiefen Zug von ihrer Zigarette.

„Es wird halt kalt für Raucher!“ versuchte Frank es noch einmal vorsichtig.

Sie antwortete nicht und drehte den Kopf zur Seite und nahm noch einen Zug.

„Ich meine nur. Es wird uns Rauchern schwer gemacht.“

„Was wir beide gemein haben sollten, erschließt sich mir nicht. Schauen Sie sich doch nur einmal an. Sie laufen rum, wie ein Hilfsarbeiter und belästigen hier Frauen. Ich wünsche nicht von Ihnen weiter angesprochen zu werden.“

Jetzt wußte Frank wenigstens, was der Barkeeper meinte.

„Entschuldigen Sie, ich wollte nur …“ Diese Ohrfeige kam jetzt nicht mehr ganz so überraschend.

„Ich habe doch gerade gesagt, daß Sie mich in Ruhe lassen sollen!“

Da hatte sie natürlich recht.

Lana drückte die Zigarette aus, drehte sich um und wogte wieder in den Gastraum zurück.

Den Rest des Abends beobachtete er Lana unauffällig und hatte den Eindruck, daß sie ihn auch regelmäßig fixierte. Vielleicht nur, um sich bei den anderen Mädels über ihn lustig zu machen. Aber Frank sah das eher als kleinen Lichtblick. Halt eine kleine Chance.


*

Er war sich nicht sicher, ob und wann er Lana wiedersehen würde, aber seine Chancen standen nicht schlecht, weil sie ja nach Angaben des Barkeepers regelmäßig hier war.

„Na, neues Outfit“, grinste der Barkeeper als Frank sich an den Tresen setzte.

Ja, er hatte ein neues Outfit. Er trug einen Anzug Einreiher mit Weste und Krawatte. Dazu geschmackvolle braune Lederschuhe. Es kam ihm nicht wirklich richtig vor, so am Tresen einer Kneipe zu sitzen. Aber egal. Er bekam seine Lana nicht mehr aus dem Kopf und diesmal würde er es besser machen.

Das Glück wollte es, daß sie tatsächlich an diesem Abend vorbei kam. Und das mit nur einer Freundin. Allerdings wieder so eine einfach Gestrickte.

Gut war, daß Lana ihn gleich beim Eintreten entdeckt zu haben schien. Jetzt durfte er aber nicht übermütig werden. Er behielt Lana im Auge, verzichtete aber darauf ihr zum Rauchen zu folgen. Er war lernfähig. Er setzte drauf, daß sein Anzug seine Wirkung entfaltete. Und auch, wenn es ihm schwerfiel, er ignorierte Lana so auffällig er konnte. Selbst, wenn sie wieder ginge und es ihm nicht gelänge mit ihr Kontakt aufzunehmen, bliebe er hier stur sitzen. Früher oder später bekäme er seine Chance.

Tatsächlich stand die Freundin nach dem zweiten Getränk auf und machte Anstalten zu gehen. Mühsam verbarg Frank seine Enttäuschung. Heute könnte er wohl nichts mehr ausrichten.

Doch da hatte sich Frank geirrt. Während die Freundin die Kneipe verließ bog Lana kurz vor dem Ausgang ab, schob sich unvergleichlich, schwingend durch den Raum direkt auf ihn zu. Dicht vor ihm blieb sie stehen und fixierte ihn mit durchdringendem Blick.

Frank stand auf und stellte sich ordnungsgemäß vor. Vorsorglich zog er den Kopf etwas zurück, aber Lana lächelte und hielt im die Hand hin, allerdings so, daß sie ihn wohl zu einem Handkuss aufforderte.
„Möchten Sie sich setzen? Und darf ich Ihnen ein Getränk anbieten?“ fragte er forsch, nachdem er flüchtig einen berührungslosen Kuss auf ihre Hand gehaucht hatte. Und natürlich war das zu forsch.

Sie hatte ihn so schnell mit der noch nicht ganz zurückgezogenen Hand, die er gerade erst symbolisch geküsst hatte, geohrfeigt, dass nicht zu einer Reaktion fähig war.

„Sie glauben doch nicht etwa, ich würde Sie für einen Champagner auf der Toilette oral befriedigen! Was erlauben Sie sich.?“

Frank schluckte sprachlos. Davon war ja jetzt gar nicht die Rede gewesen.

„Entschuldigung, ich wollte Ihnen nur ein Getränk anbieten.“

Oralverkehr auf der Toilette, also wirklich! Daran hatte Frank nun keineswegs gedacht. Wirklich nicht. Jedenfalls nicht nach einem Getränk.

„Warum?“ fragte Lana. „Warum wollen Sie mir ein Getränk ausgeben.“

„Nun, weil ich Sie sehr attraktiv finde und Sie näher kennen lernen möchte.“

Frank beobachtete aufmerksam ihre rechte Hand, und sah, wie sie ausholte. Er beschloß einfach nicht nicht zurückzuweichen und den zwangsläufig folgenden Schlag hinzunehmen wie ein Mann. Aber die Hand verharrte auf halbem Weg.

„Gut“, sagte Lana. „Ein Getränk.“

Sie schob sich elegant vor den Barhocker. Es war sicher nicht einfach mit dem engen Bleistiftrock, ohne Schlitz da hinauf zu kommen.

Doch inzwischen hatte Frank begriffen, wie der Hase lief. Er bot ihr seinen Arm als Stütze an und schob den Hocker vorsichtig unter ihren fantastisch geformten Hintern, während sie mit spitzen Pumps auf der Fußstange des Tresens stand.

Ein Danke wäre sicherlich zu viel gewesen, aber dafür gab es auch keine Ohrfeige.

„Was darf ich Ihnen bestellen?“ fragte Frank, als er neben ihr Platz genommen hatte.

Sie schaute ihn mit hellgrün leuchtenden Augen an. Frank war hin und weg. Natürlich hätte er ihr jetzt gern Champagner bestellt, aber er befürchtet als Antwort nur eine weitere Ohrfeige.

„Vielleicht einen Gin Tonic?“

Lana lachte hell klirrend auf. „Das trinken englische Schlampen, die sich auf dem Klo von hinten nehmen lassen!“

Es gab da einen frappierenden Unterschied, zwischen der Eleganz wie sie etwas und sagte und dem was sie sagte. Frank war leicht geschockt und starrte auf den Gin Tonic, der vor ihm stand und den er sich aufgrund seines eleganten und stimmigen Erscheinungsbildes bestellt hatte.

„Nein, nein“, winkte Lana ab. „Ich nehme einen Champagner, wenn wir uns darauf einigen können, daß ich sie deshalb nicht oral befriedigen muß.“

„Natürlich nicht!“ empörte sich Frank. „Solche Hintergedanken sind mir absolut fremd.“

„Wir werden sehen“, erklärte Lana vieldeutig.

Dann griff sie mit drei Fingern elegant das Champagnerglas und nahm einen winzigen Schluck.

Frank wußte nicht, was er sagen sollte. Sollte er es riskieren die Fortschritte, die er gemacht hatte, mit dummen Fragen zu eventuell wieder zunichte zu machen? Nein. Glücklicherweise, erzählte Lana einfach drauf los.

Sie arbeitete bei einer Versicherung in der Schadensregulierung, reiste gern, hielt nichts von Sport oder gutem Essen. Dafür mochte sie shoppen und kleine Hunde.

Frank starrte auf den Mund aus dem die Worte auf ihn einprasselten und überlegte, ob sie mit seinen Hintergedanken nicht doch recht gehabt hatte.

„Und ich gehe unglaublich gerne in Museen“, hörte Frank sie sagen.

Sie schien es für absolut selbstverständlich zu nehmen, daß er von ihr und ihren Geschichten fasziniert war.

„Darf es denn noch ein Champagner sein?“ fragte frank schnell als ihr Redefluss vor dem leeren Glas kurz ins Stocken geriet.

Lana schaute ihn an, als wenn er schon wieder etwas unanständiges gesagt hätte.

„Ein zweiter Champagner“, stellte sei unterkühlt fest. „Dann kämen wir wohl um das orale Befriedigen nicht mehr herum, ja?!“

Frank schüttelte energisch den Kopf. Was hatte die denn bloß immer mit dem oralen Befriedigen?

„Das muß wirklich nicht sein.“

Einen Moment überlegte er, ob dabei wirklich den Kopf geschüttelt oder freudianisch genickt hatte.

„Ich mache Ihnen einen Vorschlag: Ich nehme noch ein zweites Glas, aber ich werde Sie nicht auf der Toilette befriedigen, sondern sie mich.“

Frank schluckte.

„In Ordnung“, sagte fahrig und fühlte sich überrumpelt. Nicht, daß das jetzt nicht ihm Rückraum einer Hintergedanken als Möglichkeit herumgeschwenkt wäre. „Wenn Sie das wollen, gerne.“

„Gut, dann haben wir das geklärt und ich nehme noch einen!“

Während Lana ihren Gesprächsfaden wieder aufnahm, überlegte Frank, was gerade passiert war. Mit dem Endergebnis war er ja vollkommen zufrieden. Die Vorstellung seine Lana Turner auf der Toilette oral zu befriedigen war ihm mehr als angenehm und versprach spannend zu werden. Er fragte sich nur, wie es dazugekommen war und wie das jetzt von statten gehen sollte. Aber dann fiel ihm ein, daß Lana ihn ihrer kurzen Beziehung bisher alles geregelt hatte. Also beschloß er einfach abzuwarten, was passierte.

Als Lana ihr Glas zu Dreiviertel geleert hatte, sagte sie: „Also, ich wäre jetzt so weit, es mir besorgen zu lassen.

„Okay!“ Frank bot ihr seinen Arm, um ihr vom Hocker zu helfen.

„Aufs Damenklo“, kommandierte sie leise.

Unten, wo die Toiletten waren, steuerte Lana zielgerichtet eine der Kabinen an. Frank hatte den Eindruck, daß sie das wohl nicht zum ersten Mal tat.

Wie er das jetzt in so einer engen Kabine bewerkstelligen sollte, davon hatte Frank nicht die geringste Vorstellung. Lana drängte ihn sanft sich auf den Toilettensitz zu setzen und baute sich vor ihm auf. Dann griff sie nach dem Rocksaum und zog ihn langsam bis über den Rand ihrer Nylons hoch.

„Bereit?“ fragte sie.

Frank nickte und Lana zog den Rock noch etwas höher. Es stellte sich heraus, daß Frank keineswegs bereit war. Zum Vorschein kam nämlich ein Penis, der locker unter dem Hüfthalter baumelte. Er war nicht beunruhigend groß, es war nur beunruhigend, dass er da war. Während Frank noch überlegte, was nun tun sollte, klatschte schon wieder Lanas Hand auf seine Wange.

„Mach schon!“ befahl sie verärgert. „Wir waren uns doch einig. Los!“

Frank blieb konsequent unschlüssig und fing sich noch eine Ohrfeige ein.

„Nimm ihn schon in den Mund!“

Ohne es wirklich zu wollen, bewegte sich Franks Kopf nach vorn.

„Mund auf!“ kommandierte Lana fast mütterlich.

Das hatte er dann wohl gemacht, denn er spürte einen etwas weiches, und rundes im Mund, daß sich in diesem Moment mehr und mehr verhärtete.

„Herrgott, stell dich doch nicht so an.“

Lanas Schlaghand lag inzwischen an seinem Hinterkopf und drückte in fest nach vorn.

Bisher kannte er diese Situation nur aus aus der anderen Perspektive. Doch statt auf einen willfährigen Weiberschopf herunterzuschauen, gelang es ihm jetzt bestenfalls kurz zu Lana hochzuschauen, bevor sie sich geräuschlos in seinem Mund entlud.

„Braver Junge!“ zischte Lana. „Schön alles schlucken.“

Das war offenbar ein Paralleluniversum, in dem irgendein skurriler Film ablief. Irgendwie schaffte es Frank sich selbst dabei zu beobachten, wie er tat was von ihm verlangt wurde. Und irgendwie schien es ihm egal, bis angenehm zu sein.

Als Lana mit ihm fertig war, mußte sie nicht ihre Hose schließen, sondern einfach nur den Rock runterziehen, und alles war wieder so, als wenn nichts gewesen wäre. Wie betäubt folgte Frank ihr in den Vorraum.
„Komm her“, sagte sie und tupfte ihm die Mundwinkel mit einem Papiertuch ab. Dann zog sie sich vor Spiegel, die blutroten Lippen nach, gerade so als hätte sie gerade das getan, was er getan hatte.

„Fertig?“ wollte sie wissen. Dann verließen sie gemeinsam den Toilettenraum.

Als sie die kleine Stiege in den Gastraum hoch gingen, war Franks Blick bei dem Tritt auf Lanas elegant schwingendes Gesäß gerichtete. Egal was das eben war, er war stramm verliebt in diese Frau. Hundertprozentig.

Oben im Gastraum grinste der Barkeeper breit. Frank war sich sicher, daß der Mann eine ganz falsche Vorstellung davon hatte, was da unten passiert war.

Sie setzten sich wieder an den Tresen und wie zuvor half Frank ihr auf den Barhocker.

„Sie sind ja ein richtiger Gentleman. Womöglich wird ja aus uns beiden heute doch noch etwas“, stellte Lana lächelnd fest. „Vielleicht, wenn ich Ihnen mal ein Getränk spendiere! Einen Gin Tonic vielleicht?“

In diesem Moment hatte Frank eine sehr genaue Vorstellung davon, was Lana meinte. Er hätte jetzt gern darauf hingewiesen, daß das eigentlich nicht so sein Fall war und er lieber bei Champagner bleiben wollte. Aber andererseits war ihm auch klar, daß seine Möglichkeiten an diesem Punkt irgendetwas zu entscheiden schon sehr, sehr eingeschränkt waren, zumindest wenn er auf Lana Turner stand. Und das tat er.

„Gin Toni wäre toll!“ behauptete er.


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