Sein größter Fall

Kurzkrimi

Dienstag war ein mieser Tag, mieses Wetter, feucht und kalt. Phillip saß in seinem Büro und wartete darauf, dass die Zeit verging. Als die Tür aufschwang sah er mit mäßigem Interesse auf. Sie war ein hübsches Ding, so Ende zwanzig. Sie gehörte zu der Sorte Frauen, die einem grundsätzlich nie die Wahrheit sagten, das sah er sofort. Alles war prinzipiell erlogen. Selbst wenn sie im Restaurant bestellte, konnte man sicher sein, dass es nicht das war, war sie wirklich gewollt hätte. Von so einer Frau konnte man bei einem Fall keinerlei Hilfe erwarten. Sie wollte irgendetwas, das man für sie erledigen sollte, sie zahlte und das war’s.

Im Laufe der Jahre hatte Phillip sich abgewöhnt, daran zu verzweifeln. Das Mädel roch förmlich nach Geld und Ärger. Sie setzte sich auf den einzigen Stuhl direkt vor seinem Schreibtisch, schlug ihre hübschen, schlanken Beine übereinander und nahm eine überlange Zigarette aus dem vergoldeten, mit Steinchen besetzten Etui. Phillip hatte nicht vor ihr Feuer zu geben, und er sah auch keinerlei Veranlassung seine Beine vom Tisch zu nehmen.

„Phillip Maroni?“ fragte sie.

„Sicher“ antwortete er lässig grinsend, „so steht es an meiner Tür.“

Er zog sich einen ersten abschätzigen Blick zu.

„Ich bräuchte Ihre Hilfe, weiß aber nicht, ob Sie der geeignete Mann für diese Angelegenheit sind?“

„Dann komm Sie doch wieder, wenn Sie glauben, es zu wissen“, versetzte er brummig.

„Schon gut, schon gut, regen Sie sich nicht gleich auf. Ich muss Ihnen ja wohl vertrauen.“ Warum? Hatte sie keinen Psychiater? Sie zog ein Foto aus ihrer Handtasche und legte es ihm auf den Schreibtisch.

„Das ist meine Schwester und ich möchte, dass Sie sie für mich finden.“

Phillip ersparte es sich sie zu fragen, weshalb sie nicht zur Polizei ging. Es gab immer gute Gründe dafür, und auf den richtigen würde er im Verlauf seiner Ermittlungen schon von selber stoßen. „Außer dem Foto müssen Sie mir schon ein bisschen mehr geben, damit ich sie finden kann.“

„Da ist nicht viel mehr. Mit achtzehn ist sie von Zuhause weg und seitdem habe ich sie nicht mehr gesehen. Vor drei Tagen ist unser Vater gestorben, und nun suche ich sie, wegen der Erbschaft. Ich glaube, sie ist noch in der Stadt.“

„Gut“ sagte ich, „geben Sie mir Ihre Adresse und einen Vorschuss. Ich werde sehen, was sich machen lässt.“

Sie zählte beiläufig fünf Hunderter auf den Tisch, nickte und verschwand kommentarlos wie sie gekommen war.

Solche Fälle waren es meistens, wenn nicht gerade Scheidungen. Es war wirklich ein lausiges Geschäft. Phillip rauchte noch eine Zigarette und machte sich dann auf den Weg. Es war sowieso Zeit, einen Whisky in Hartmuts Bar zu trinken. Hartmuts Bar war immer die erste Adresse wo Phillip suchte. Nicht, dass er dort schon jemals jemanden gefunden hätte, aber es war die richtige Gegend für den Beginn solcher Untersuchungen. Diese abgehauenen Mädchen landeten irgendwie früher oder später alle in der Nähe des Striches. Hartmut kannte diese Gegend wie seine Hosentasche und konnte in den meisten Fällen weiterhelfen.

In der Bar trank Phillip Becher voll Bourbon, bis Hartmut endlich Zeit für ihn hatte. In dem undurchdringlichen Dunst von Zigaretten und Schweiß ließen sich, an einem Tag wie heute, ein Haufen Leute volllaufen. Phillip auch. Nachdem Hartmut endlich den Weg zu ihm gefunden hatte, schob er ihm das Bild über der Theke und bestellte noch einen Whisky. Hartmut zeigte nach kurzem Zögern auf einen finsteren Typen, der mit zwei aufgetakelten Blondinen in einer Ecke saß und anscheinend eine Art Beerdigung feierte.

„Willi, ich glaub, ich hab sie mal bei ihm gesehen. Aber sei vorsichtig.“

„Schon gut“, versicherte Phillip dankbar und nahm seinen nächsten Whisky mit an den Willis Tisch. „Ist hier noch frei?“, versuchte er es zuerst auf die freundliche Art.

„Was willst du? Die Bräute haben Feierabend.“ Phillip setzte sich und nahm einen kräftigen Schluck Whisky. „Ich suche was Besonderes.“

„Läuft nicht“ feixte die blondere von den beiden hysterisch gackernd.

„Aber bei der hier vielleicht?“ setzt Phillip nach und schob dem grobschlächtigen Zuhälter das Foto hin. Der schaute kurz auf das Bild. „Kenn ich nicht, nie gesehen, arbeitet nicht für mich.“

„Ich würd’s mich auch was kosten lassen“, fuhr Phillip fort und zog einen Fünfziger aus der Tasche.

„Lass die Finger davon, die ist zu heiß für dich“, murmelte Willi und steckte den Fünfziger ohne eigentliche Gegenleistung ein.

„Ist genau, was ich brauche. Also wo finde ich sie?“

„Du hast da was nicht kapiert. Die arbeitet nicht mehr, die ist selbst ganz groß im Geschäft, Schnüffler. Wenn du da die Nase reinsteckst, ist sie ab, – ratz fatz“, grunzte Willi schneidend und machte dabei mit seinen Fingern die Bewegung einer Schere nach und führte sie dicht an seiner Nase vorbei.

So schnell ließ Phillip sich nicht einschüchtern.

„Gefällt dir meine Nase? Mir nicht. Wo, sagtest du, kann ich sie finden?“

Er zog den nächsten Fünfziger und trank sein noch halbvolles Glas mit einem Zug leer.

Den Fünfziger steckte der Lude ein und schrieb auf die Rückseite seiner leeren Zigarettenschachtel einen Namen mit Adresse. Ohne draufzusehen nahm Phillip die Schachtel und steckte sie in die Jackentasche. Dann stand er auf und ging zur Bar zurück. Langsam wurde er zu alt für dieses Geschäft, der letzte Whisky an der Theke hätte ihn fast umgehauen, und er schwankte schleunigst aus der Bar. Heute Abend war da nichts mehr machen. Phillip wollte nach Hause gehen und seinen Rausch ausschlafen. Für morgen hatte er eine Spur.

Er schlenderte durch den feuchten Bodendunst über den nassen Asphalt nach Hause. Aber zwei Straßenecken weiter, als er nicht gerade zielstrebig die Straße überquerte, jagte ein grüner Ford genau auf ihn zu. Kurz bevor ihn der Wagen in voller Wucht am Oberschenkel erwischte, sah er die Typen in dem Auto und prägte sich ihre Gesichter gut ein. Drei Jugendliche, mindestens so betrunken wie er. Er würde sie in jedem Fall wiedererkennen und er war gespannt wer diese Dreikäsehochs wohl auf ihn angesetzt hatte.

Während Phillip über das Wagendach gewirbelt wurde, dachte er noch nur an eins: „Roll dich sauber ab, du darfst auf keinen Fall mit dem Kopf zuerst aufschlagen, nur nicht mit dem Kopf …“



Sein größter Fall (91) - © Copyright bei Ingolf Behrens, Hamburg, 1993. Alle Rechte vorbehalten.