Die Eierrute

Ostergeschichte

Seit vier Wochen hatte er nun an seiner Pomlázka gearbeitet. Nun betrachtete er zufrieden sein Werk. Sie ließ sich leicht durchbiegen und schnellte geschmeidig in die Ausgangsposition zurück. Die farbigen Bändchen zuckten nur leicht, denn er hatte sie mit kleinen Gardinenkügelchen beschwert. Der Ostermontag war der Tag im Jahr, auf den er sich am allermeisten freute.

Ruten hatte er viele zuhause. Aber die durfte er ja nur bei seiner Frau benutzen. Ostermontag aber, gab es in Zahrádka, wie wohl überall in Tschechien einen Brauch, der seinen persönlichen Neigungen mehr als nur entgegen kam. Am Vormittag gingen die Männer durchs Dorf bespritzten die Frauen mit Wasser, anschließend schlugen sie sie mit bunt geschmückten Ruten. Das sollte zwar nur symbolisch geschehen, aber bislang hatte sich noch keine Frau beschwert, wenn er es einmal besonders gut mit ihr meinte. Schließlich diente dieses Ritual dazu, die Gesundheit und Schönheit im nächsten Jahr steigern.

Und nicht genug damit, dass man jeder Frau im Dorf Freude an Rute schenken durfte, nein, man wurde auch noch dafür von Frauen bezahlt. Man war ja Dienstleister im eigentlichen Sinne. Gut manchmal bekam man als Gegenleistung auch nur ein bunt bemaltes Ei. Aber darauf kam es Janis ja überhaupt nicht an. Er freute sich am meisten auf die Arbeit mit Rute.

So gegen Neun trafen sich die Männer vor dem Rathaus. Sie nahmen sich noch zwei, drei zur Brust, bevor sie sich an die Arbeit machten. Zugegeben, Janis hatte schon zwei, drei mehr zu Hause gehabt. Sonst hätte er das lange Warten nicht ausgehalten. Er war halt so aufgeregt.

Für die meisten dieser jungen Burschen war das Ganze ein großer Spaß. Sie waren noch nicht so in Tiefe dieses Osterbrauches eingedrungen, wie Janis. Für Janis war das Rutengehen eine tief metaphysische Erfahrung. Vielleicht war er der einzige in der Truppe, der verstanden hatte, warum das Schlagen mit der Rute einer Frau solche Schönheit verleihen konnte. Es waren diese ausdrucksstarken Gesichtszüge, wenn der Schmerz die oberen Enden der Nervenstränge erreichte, die diese Schönheit ausmachten. Das entrückte Fixieren des Unendlichen mit den weit aufgerissenen Augen und die anschließende völlige Entspannung der Muskulatur, wenn die so heftig erregten Synapsen wieder zu ihrem ursprünglichen Spannungslevel zurückkehrten.

Natalie war die erste, die er sich vornahm. Zwei junge Burschen hatten sie schon vorgewärmt und jetzt war die Reihe an ihm. Natalie war etwas zimperlich. Im letzten Jahr hatte sie ihn tatsächlich geohrfeigt, weil er ein wenig zu doll, ... Also so schlimm war es nun auch nicht. Trotzdem musste er sich zurückhalten. Sie schaute ihn bereits so leicht schräg von unten her an, traute sich aber nicht ihn abzuweisen. So etwas wäre in der Geschichte des Dorfes auch einmalig gewesen. Sie verzog leicht die Mundwinkel in Erwartung seines ersten Schlages. Das reizte Janis. Er machte sich einen Spaß daraus die Schläge hinauszuzögern. Dann schlug er unerwartete zu. Er konnte es in ihrem Gesicht ablesen, dass sie ihm am liebsten ... Aber nach drei, vier Schlägen ließ er pflichtschuldigst von ihr ab. Da gab es andere, wo seine Dienste mit mehr Wohlwollen aufgenommen wurden.

Insgesamt war es bisher ein guter Ostermontag gewesen. Die meisten Frauen wussten schon, dass das Symbolische bei Janis eher im Hintergrund stand. Sie hatten sich damit abgefunden, dass sie seine speziellen Liebesbezeugungen einmal im Jahr über sich ergehen lassen mussten. Doch der Höhepunkt stand Janis noch bevor. Den hob er sich immer bis zum Schluss auf.

Tereza zeigte ein noch tieferes Verständnis von Schönheit durch Leidenschaft, als es seine eigene Frau all die Jahre entwickelt hatte.

Als er an ihrer Tür klopfte war er allein. Um Tereza machten die meisten Männer im Dorf einen großen Boden. Sie gehörte auch nicht zu den Frauen, denen irgendetwas an Schönheit gelegen war und sie war keineswegs verärgert, wenn man sie bei diesem Ritual übersah. Hinter vorgehaltener Hand bezeichnete man sie im Dorf gern als Hexe und klopfte niemals freiwillig an ihre Tür.

Mit ihren 58 Jahren hatte sie immer noch reichlich dralle Kurven, die durch ihr viel zu enges Oberteil aus irgendeinem künstlichen Stretch-Material übermäßig in Szene gesetzte wurden.

„Na Janis, bringst wenigstens du mir Schönheit und Gesundheit für das nächste Jahr?“ fragte sie ihn anstelle einer Begrüßung.

„Das habe ich vor!“ behauptete Janis.

„Dann komm rein, wenn du dich traust.“

Eigentlich wurden die Frauen vor der Türe mit den Ruten bearbeitet, aber bei Tereza war das alles anders. Sie wohnte ja auch ein wenig außerhalb, am Dorfrand und da gab es eh keine Zeugen.
Es war auch nicht üblich, dass die Frauen am Ostermontag einfach so ihren Hintern entblößten. Allein von daher war es besser mit ihr ins Haus zu gehen.

Tereza hatte einen gewaltigen Hintern und der wogte bei jedem Schlag, weil sie dabei gewöhnlich heftig mit dem Becken zuckte. Ganz so, als wollte sie das letzte aus jedem Schlag herausholen. Tereza Schönheit einzubläuen grenzte an Schwerstarbeit. Eine halbe Stunde war Janis mit ihr zugange. Außer ihm war sie bestimmt die einzige, die den Sinn dieses Rituals in seinem Innersten begriff. Und sie schien als einzige die kleinen Bleikügelchen zu würdigen, mit denen Janis akribisch seine Rute geschmückt hatte.

Nach dreißig Minuten, war sie wohl nur in seinen Augen schöner geworden, aber beide waren entspannt und verschwitzt, als hätten sie gerade irgendeine perverse Form von Sex miteinander gehabt.

„Ich freue mich schon aufs nächste Jahr!“

„Ich auch“, hauchte Janis, dem klar war, dass er in diesem Moment eigentlich fremdgegangen war.

*

Vor der Tür stellte er fest, dass es bereits dunkel wurde. Bis zum Dorf war es ja nicht weit. Aber weiter als er an diesem Abend unbeschadet kam. Kurz vor dem Dorfeingang warteten die anderen Männer, und das offensichtlich auf ihn.

„Es gefällt uns nicht, wie du unsere Frauen behandelst“, sagte Marek, der Verlobte von Natalie. Klar, dass der hier der Wortführer war.

„Ja, genau. Du schlägst viel zu doll!“ sagte ein anderer.

„Das macht ihm doch Spaß!“ behauptete ein Dritter.

Janis sagte gar nichts. Er hatte so etwas kommen sehen. Nicht unbedingt heute, aber grundsätzlich hatte er so etwas kommen sehen. Und daher wusste er auch, dass dies hier keine Diskussion werden würde, sondern, dass die Männer ihren Plan längst gefasst hatten.

„Vielleicht sollten wir dir mal zeigen, wie man es richtig macht?!“ fragte Marek sarkastisch.

Das war natürlich eine rein rhetorisch Frage. Janis würdigte das mit keiner Antwort. Er wusste, was kommen musste und hatte längst beschlossen, sich nicht zu wehren. Was wussten diese Dorfburschen schon, wie man es richtig machte. Die Schläge ins Gesicht taten weh, verursachten aber nicht die geringste Erregung. Natürlich war es Marek, der schrie: „Auf die Eier.“ Und angenehm war das auch nicht. Trotzdem entdeckte er in Mareks Augen ein altbekanntes Funkeln, als er rief: „Na, wie gefällt dir die Eierrute!“

Dieses Funkeln ließ Janis die Schläge vergessen. Er sah sich selbst, er sah Natalie vor sich und er wusste, dass Natalie mit Marek den Bock zu ihrem Gärtner gemacht hatte. Wenn Marek das nicht ganz schnell in den Griff kriegen würde, dann wäre es mit Natalies Schönheit nicht weit her und sie würde bald mit ungeschminkten, blauen Augen in die Kirche gehen. Tja man erkennt einander halt.

Auf die Schläge waren Tritte gefolgt. Wenn die Grenzen erst einmal überschritten waren, hatten sich nur Auserwählte so im Griff, wie er selber.

Als Janis endlich nach Hause kam, lag seine Frau schon im Bett. Er griff nach der Flasche Schnaps im Kühlschrank, weil er von Schmerzmitteln nichts hielt. Sein Körper war eine einzige topologische Landkarte, auf der sich die Höhepunkte dörflicher Solidargemeinschaft in Form von rötlich-blauen Ergüssen abzeichneten.

*

Erwachen tat Janis im eigentlichen Sinne nicht mehr. Wie schon im Jahr zuvor hatte er vergessen seine Frau zu besuchen. Auch keiner aus dem Dorf hatte das getan. Man hatte sie schlicht vergessen. Seine Frau hatte also allen Grund richtig sauer zu sein. Und wie der Brauch es vorsah, wenn eine Frau übergangen wurde, überkippte sie ihren Mann am nächsten Morgen mit einem Eimer eiskalten Wassers. Davon hätte er nun wirklich aufwachen müssen. Er riss die Augen auch auf, aber das war alles. Dann stierte er tot an die Zimmerdecke und rührte sich nicht mehr.

So ein Eimer Eiswasser konnte halt schon mal einen Herzinfarkt verursachen. Und Janis war ja auch nicht mehr der Jüngste. Janis Frau brach schreiend zusammen. Sie wollte doch nur schön sein für ihren Mann. Das hier hatte sie nicht gewollt.

Wenn man aber in diesem Fall eine Autopsie gemacht hätte, wäre schon herausgekommen, dass Janis in Wirklichkeit an den inneren Blutungen von gestern Abend gestorben war. Aber so hatte das gesamte Dorf Verständnis für die Frau, die aus Eifersucht ihren schrecklichen Mann mit einem Eimer Eiswasser umgebracht hatte.

Die Eierrute (103) - © Copyright bei Ingolf Behrens, Hamburg, 2012. Alle Rechte vorbehalten.