Nigger Hans

in der U-bahn

Seine Eltern hatten ihn Hans genannt. Im Senegal bedeutet das soviel wie Kochtopf. Sie waren davon ausgegangen, daß er es als Kochtopf in diesem Land in vielerlei Hinsicht leichter haben würde. Und damit hatten sie auch nicht ganz unrecht gehabt.

Hans war hier geboren, seine Eltern hatten den Senegal vor 50 Jahren verlassen und sein Vater arbeitete hier als Elektriker. Seit ihrer Einbürgerung hießen sie mit Nachnamen Lademann. Alles nur, um in diesem Land dazu zu gehören.

Eigentlich lief alles gut, doch Hans Lademann konnte niemanden wirklich täuschen. Seine schwarze Haut verriet ihn immer wieder. Hans Lademann bekam zwar einen Termin zur Wohnungsbesichtigung, aber er bekam keine Wohnung, weil meistens, nach dem ersten Händeschütteln, sofern es denn stattfand, jede zwischenmenschliche Gemeinsamkeit, die sein Name erzeugen konnte, mit einem Schlag verflogen war. Hans war schwarz und daran ließ sich jetzt nachträglich auch nichts ändern.

Eigentlich war Hans in dem Moment kein Hans mehr, in dem er in dieser Gesellschaft sichtbar wurde. Das galt auch für den öffentlichen Nahverkehr. Obwohl er nicht an Platzangst litt, beschlich ihn in der U-bahn jedesmal ein beklemmendes Gefühl. So auch heute.

Er hatte den echten blonden Hans schon beim Eintreten bemerkt. Der Mann saß zwar drei Reihen weiter, aber hatte ihn gleich beim Betreten der Bahn mit einem bösen Blick fixiert.

The white boy wants trouble. Das war Hans sofort klar. Es war dieses dumpfe Fixieren, diese in Stein gemeißelte Gesichtszüge, diese betont lässige Haltung mit weit gespreizten Beinen. Alles an dem jungen Mann sagte: Schau her, ich bin ein echter Teutone. Ein weißer mordspotenter Kerl.

Das war für Hans nichts Neues. Er wußte genau, was dieser Typ jetzt dachte. Der dachte: Verdammter Nigger! Was will der Nigger von der blonden Frau.

Ja, seine Freundin war blond. Sybille. Sybille sagte ihm immer wieder, er solle solche Typen einfach ignorieren. Die hätten doch einfach nur Probleme mit ihrem viel zu kleinen Pimmel. Andy.

Was Sybille einfach nicht begriff war, wie gefährlich diese Typen waren. Diese geisteskranken White Boys on Dope verstanden absolut keinen Spaß. Bei denen mußte man immer mit allem rechnen.

Aber natürlich kriegte Sybille von alledem mal wieder nichts mit. Sie saß neben ihm auf der Bank, schaute sich Welpenvideos auf ihrem Handy an und kicherte leise vor sich hin. Nur gut, daß er auf sie aufpaßte.

Der Kerl hörte einfach nicht auf ihn unentwegt, provokant anzustarren. Der war voll auf Agro. Bei dem rechnete Hans mit Allem.

Also war er gut vorbereitet, als der Mann aufstand und sich in seine Richtung bewegte. Hans zog langsam sein Springmesser aus der Hosentasche und stand ebenfalls auf. Auch der Nazi griff in seine Hosentasche, vermutlich um ein Waffe zu ziehen.

Immer noch starrte der Kerl in durchdringend an. Hans ließ die Klinge hinter seinem Rücken aufspringen. Er war bereit sich auf den Gegner zu stürzen, auf wenn der jetzt eine Pistole zog.

Aber es war keine Pistole, die der Mann hervorzog. Es war ein weiß lackierter Schlagstock, der sich im nächsten Moment zu voller Größe entfaltete, wie ein Regenschirm. Dabei entpuppte sich die Schlagwaffe sich als einfacher Blindenstock. Geschickt bewegte der Mann den Stock drei, vier Mal hin und stand dann sicher an der Tür der U-bahn.

Hans stand völlig perplex da und starrte den Mann an. Unauffällig klappte er das Springmesser, wieder zusammen und ließ es in der Tasche verschwinden.

„Sie müssen drücken“, krächzte Hans mit trockenem Hals, als sich die Tür nach dem Halten nicht gleich öffnete.

Die Hände des Mannes tasteten scheinbar willkürlich die Festhaltestange ab.

„Warten Sie, ich drücke für Sie!“

Hans drückte er den Knopf, der die Türen öffnete.

„Danke“, sagte der Mann und tastete sich vorsichtig aus der Bahn.

Das „Tack, tack“ des Stockes war trotz des Lärms auf Bahnsteig penetrant zu hören. Tack, tack, verschwand es in dem Tunnel, während Hans sich leicht verstimmt wieder setzte.

„Was war denn?“ Fragte Sybille und sah kurz von Handy auf.

„Nichts“, behauptet Hans. „Da war nur ein Blinder der Hilfe brauchte.“

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