Der Baum

In der Kälte sah man seinen eigenen Atem. Grisu. Es war mühsam die Füße zu heben. An den gefütterten Stiefeln hing jede Menge Neuschnee. Es war etwas zu warm. Und es ging bergauf. Immer nur bergauf. In langen Reihen zogen sich die jungen Nadelbäume den Hang hinauf. Schnurgerade, wie mit einer Linie gezogen. Seiner Meinung nach war es das falsche Jahr, um hier einen Baum zu schlagen. Von unten nach oben, wurden die Bäume immer größer. Als sie sich unten die Axt geliehen hatten, waren die Bäumchen gerade mal 30 Zentimeter hoch. Bis hin zu den 3 Meter-Tannen war es noch ein gutes Stück.

„Ich verstehe nicht, warum du nicht an die Axt gedacht hast?“ fragte Dörte.

„Es ist doch egal“, stellte Frank genervt fest. „Wir konnten uns doch eine leihen!“

„Ja, schon, aber wenn jetzt mehr Leute ...“

„Dann hätten wir halt einen Moment gewartet.“

Eigentlich war es sinnlos sich auf diese Diskussion einzulassen. Frank wusste, dass es dabei kein Ende geben konnte. Genau genommen fand Dörte nie ein Ende. Egal worum es ging. Seitdem nachts kein Testbild mehr gesendet wurde, schlief Dörte regelmäßig vor dem Fernseher ein.

„Da müssen wir hoch!“ Dörte zeigt den Hang hinauf, bis etwa zum Kamm.

Interessant, dass Dörte bisher keinen Gedanken daran verschwendet hatte, wie sie den gefällten Baum von da oben hinunter bekommen sollten.

„Kommst du?“ Dörte schob sich die zylindrische Fellmütze aus der Stirn. Sie hatte gerötete Wangen und ihre Haut glänzte verschwitzt. Dabei waren sie noch nicht einmal ein Drittel des Hanges hinauf gestapft.

„Da drüben! Die sind auch ganz schön!“ behauptete Frank. Gut, das waren keine drei Meter, aber sehr schön dicht waren die schon.

Dörte grunzte nur. „Das sind doch Krücken! Komm weiter!“

Franks Füße wurden immer kälter. So ganz wasserdicht war sein Schuhwerk wohl nicht und außerdem waren seine Hosenaufschläge vereist. Dörte war schon 10 Meter vorgegangen und stampfte wie eine Lokomotive durch den Schnee. Ihr Mantel war so lang, dass er eine eigene Schleifspur auf der Schneedecke hinterließ.

„Komm schon, du Weichei!“

Frank biss die Zähne zusammen und gab Gas. Noch vor dem Kamm hatte er sie eingeholt.

„Hier sind wir richtig!“ stellte sie außer Atem fest.

„Gut“, sagte Frank und ließ die Axt in den Schnee fallen. „Welchen nehmen wir?“

„Mal sehen.“

Dörte hatte kurz verschnauft und fing an die Reihen der Bäume abzugehen.

„Willst du nicht mitsuchen?“ fragte sie empört, als Frank sich nicht von der Stelle rührte.

„Warum? Ich finde doch eh nicht den Richtigen. Meinetwegen hätten wir genauso gut einen von da unten nehmen können.“

„Wohl kaum. Jetzt wo wir endlich im Altbau wohnen und drei Meter fünfzig Deckenhöhe haben, will ich endlich einen richtigen Weihnachtsbaum.“

„Was ist mit dem hier?“ fragte Frank und zeigte wahllos auf einen Baum in seiner Nähe.

„Da ist die Spitze krumm!“

„Und der hier?“

„Sei nicht albern, der hat Nadelschwindsucht!“

„Oh Gott“, dachte Frank. So konnte jetzt stundenlang weiter gehen. Je größer die Auswahl, desto schwerer die Entscheidung. Er sah sich um. Hier waren hunderte Bäume.

„Sitz da nicht rum! Hilf mir suchen!“

Wozu? Gequält nahm er die Axt wieder auf und lief seiner Frau nach. Jeden Baum, den er verschlüge, bei dem wäre irgendetwas nicht in Ordnung. Konnte sie nicht einfach Bescheid sagen, welchen er fällen sollte und gut?
„Guck mal, der hier ist doch klasse!“

Schweren Schrittes stapfte er durch die Baumreihen. Im Moment hörte er nur ihre Stimme, aber das reichte ihm auch.

„Oder hier! Der ist auch nicht schlecht.“

Jetzt ging es los. Aus zwei Möglichen würden gleich vier, fünf und wer weiß wie viele werden.

„Wie findest du den?“ fragte sie, als er sie zwischen den Bäumen endlich wiedergefunden hatte.

„Klasse, der hat ...“

„Oder den!“

Sie hörte ihn wohl gar nicht. Sie war im Kaufrausch. Mitten im Wald, aber im Kaufrausch.

Schon war sie wieder zwischen den Tannen verschwunden. „Hier ist auch einer!“

Am liebsten hätte er zurückgerufen „Hier sind überall welche!“

„Schade, der hier ist superdicht, aber leider zu mickrig.“

Frank versuchte anhand der Stimme zu raten in welche Richtung sie sich als nächstes bewegen würde, um den Weg abzukürzen. Aber dafür waren Dörtes Entscheidungen immer schon zu spontan gewesen.

Trotzdem fand er sie wenig später andächtig vor einem vier Meter Baum stehen. „Der ist es!“ sagte sie salbungsvoll und sah hinauf zur Spitze, die fast in den Himmel ragte.

„Bist du sicher?“

„Findest du nicht?“

„Doch, doch. Der ist toll!“

„Dann los! Hack ihn ab!“

„Okay!“

Frank wog die Axt in der Hand und überlegte, wo er ansetzten sollte. Der Baum war bis unten so dicht, dass er wohl erst ein paar Äste entfernen musste.

Gerade wollte er ansetzen, den Baum untenrum ein wenig frei zu machen, da rief Dörte: „Halt!“

Frank zuckte zusammen. Es hatte so geklungen, als wäre eine Katastrophe passiert. Er sah mit offenem Mund zu seiner Frau rüber.

„Der da ist glaube ich noch besser!“

Frank sah hinüber, wohin seine Frau zeigt. Der Baum sah genauso so aus wie dieser hier.

„Der ist symmetrischer glaube ich!“ Sie ging andächtig um den Baum herum.

„Ja, ja, Frank komm her. Der ist besser!“

Frank seufzte und nahm die Axt und schleppte sich rüber zu neuen Objekt ihrer Begierde.

„Ist der nicht besser?!“

„Absolut!“ behauptete Frank, der beim besten Willen keinen Unterschied sehen konnte. „Du hast wirklich ein gutes Auge.“

Nicht lange reden, sondern schlagen. Frank holte aus. Wenn er erst mal zugeschlagen hatte, wäre Ruhe. Dann wäre die Entscheidung gefallen. Er beeilte sich also ...

„Oh Gott, der ist ja schön ...!“

Zu spät. Verzweifelt sah Frank zu, wie Dörte einen Baum vier Meter weiter anhimmelte.

„Herrgott Weib, denkst du auch mal daran, dass hinter dir ein Mann mit einer scharfen Axt in der Hand steht?“ dachte Frank und war einen Moment lang versucht einfach auszuholen und diesem Fiasko auf ganz andere Art ein Ende zu bereiten.

Frank holte aus ...

„Ich weiß nicht“, brummelte Dörte.

Frank war jetzt nicht bereit den Schwung zu verschwenden, entweder der Baum oder Dörte. Sie musste sich jetzt nur noch entscheiden ...

„Doch, der ist toll!“

Also der Baum.

„Oder?“

„Entscheide dich!“ schnauzte Frank sie genervt an. Wenn sie nur wüsste, wie dicht daran sie war, den Kopf zu verlieren.

„Ich kann mich nicht entscheiden“, sagte sie und trat nervös auf der Stelle herum.

Frank ließ die Axt wieder sinken. Es erschreckte ihn, wie sehr sie ihn immer zur Weißglut bringen konnte.

„Gut, dann überleg es dir, mir drückt der Kaffee und die Kälte auf die Blase.“ Er ließ die Axt fallen und ging zwei Bäume weiter in den Sichtschatten.

Er brauchte diese Pause. Beim Pinkeln konnte er sich immer gut beruhigen. Er ging oft pinkeln, nur um eine Auszeit zu haben. Aber nun musste er wirklich.

„Darf ich?“ sagte Dörte.

Sie stand direkt hinter ihm und Frank wusste nicht was sie meinte.

„Ich muss wirklich dringend pissen!“ sagte er und versucht weiter sein Glied aus der Hose zu fummeln. Doch davor hatte Gott die lange Unterhose gesetzt, auf die Dörte heute Morgen der Kälte wegen bestanden hatte.

„Ich komme gleich!“ sagte Frank und gab den Versuch auf seinen Penis durch zwei sich gegenseitig deckenden Unterhosenschlitze zu fummeln. Er öffnete lieber seine Hose und zog die beiden Plagegeister einfach herunter. Das war zwar kalt verschaffte ihm aber die Möglichkeit sich endlich zu erleichtern.

„Lass mich!“ sagte Dörte und griff nach seinem Glied. „Ich wollte schon immer mal ein Herz in den Schnee pinkeln. Aber allein kriege ich das nicht hin.“

Ihre Hände waren gut gewärmt von Lammfell-Handschuhen und sie wusste wie man ihn anfassen musste.

Mit dem gelben Herzen würde es jetzt aber nichts. Trotz der Kälte war er in ihrer Hand in Sekundenschnelle angeschwollen.

„Oh!“ stellte Dörte überrascht fest. „Kannst du so überhaupt pinkeln?“

„Ne“, sagte Frank genervt, der jetzt von zwei Seiten Druck empfand und wohl nichts dagegen tun konnte.

„Das ist aber schade!“

Wie man es nahm, eigentlich mochte Frank es nicht, wenn seine Frau ihm beim Pinkeln zusah.

Bevor er etwas sagen konnte, tat sie etwas, was er sehr mochte. Sie hatte sich mit ihrer wattierten Hose in den Schnee gekniet. Sein Glied war in ihrem kochend heißen Mund verschwunden und es war schnell klar, welchen Druck er als erstes loswerden würde. Er versuchte sich zwar Zeit zu lassen, weil er die Situation genießen wollte, aber sie ließ ihm keine Chance.

Einkaufsstress schien Frauen geil zu machen. Vielleicht doch ein Grund mal mit shoppen zu gehen. Jedenfalls war ihre Kaumuskulatur offenbar nicht gewillt Gefangene zu machen. Die war auf die völlige Vernichtung aus. Daher ließ das berechtige Erschlaffen auch nicht lange auf sich warten.

Während Frank noch, den Blick gen Himmel gerichtet, tief durchatmete, hatte Dörte ihn schon wieder am Wickel.

„Jetzt geht’s oder?“ stellte sie wie ein neugieriges Schulkind fragend fest.

Frank antwortete nicht, schaute stur in den grauen Himmel und gab seiner Blase die Erlaubnis sich zu entleeren.

Es fühlte sich befremdlich an, dass jemand anderes sein Glied hielt, während er sein Wasser abschlug, aber es hatte auch einen gewissen Reiz.

Dörte jedenfalls frohlockte kichernd vor Entzücken. „Guck mal, ein richtiges Herz!“

Er war zwar noch nicht fertig und seine Frau wedelt wirr mit seiner Düse herum, um ihr Kunstwerk nicht nachträglich zu verunstalten, aber er senkte den Blick und sah ein leicht krakeliges Herz aus gelbem Schnee, gleich vor seinen Füßen.
Dörte kicherte hemmungslos. „Ach es ist doch schon schön, wenn man so lange verheiratet ist wie wir!“ kicherte sie. „Da kann man auch mal Sachen machen, die man sonst nie machen würde!“

Frank kämpfte noch mit der langen Unterhose und sagte nichts. Er hätte auch nicht gewusst, was.

Als die Quelle ihrer neu entdeckten Freude endlich versiegte, ließ sie ihn abrupt los. „Toll ein Zeichen unserer Liebe!“

Plötzlich schwieg sie. Sie sah an dem Baum hoch. „Das ist er!“ flüsterte sie. „Das ist unser Baum!“

Wenn er ein Hund wäre, dann wäre das richtig gewesen. Sie wollte doch jetzt wohl nicht ausgerechnet den Baum, den er gerade angepisst hatte?

„Schau, wie dicht der ist! Und ... eine kerzengerade Spitze!“

Dörte war stellenweise verrückt. Aber Frank war zu entspannt, um sich aufzuregen. Er holte die Axt, stellte sich vor den Baum und sah Dörte fragend an.

„Nun hau ihn um!“

Frank schlug zu. Nun war es entschieden. Dieser Baum würde es sein. Es dauerte nicht so lange, wie Frank befürchtet hatte, dann sank der Baum in Schnee.

„Super!“ freute sich Dörte und nahm ihm die Axt aus der Hand. „Ich geh schon mal runter zahlen!“ erklärte sie und dreht sich um. „Das wird ein richtig schönes Fest, mit so einem herrlichen Baum!“

Dörte stapfte gut gelaunt durch den Schnee leichtfüßig bergab. Frank sah auf die Viermeter-Tanne, dann den Hang hinunter, den seine Frau gerade leichtfüßig runter lief, bis zu Packstation. Das waren locker 800 Meter, bergab, aber 800 Meter.

Frank seufzte. Er war froh, dass Dörte die Axt mitgenommen hatten. Er war vor allem froh für sie.

Der Baum (123) - © Copyright bei Ingolf Behrens, Hamburg, 2013. Alle Rechte vorbehalten.