Invasion der Weihnachtsmänner

Es war schon fast dunkel so früh am Nachtmittag. Die Straßen waren matschig, braun mit weißen Glanzpunkten, dort, wo der Schnee noch nicht von den vielen Passanten niedergestampft worden war. Willards Füße fühlten sich kalt und nass an, sie waren aber knochentrocken. Der Frost stieg ihm die Beine hoch und würde bald seinen Bauchnabel erreichen. Nur unter dem dicken weißen Bart schwitzte er und die billigen Kunststoffhaare juckten wie verrückt. Leider konnte er sich nicht kratzen, denn er musste ja den schweren Jutesack über seiner Schulter festhalten. Jedes Jahr das gleiche Theater. Die Kinder wollten Geschenke, seine Frau ebenso und natürlich auch er selbst. Aber dafür reichte sein Gehalt nun mal nicht, schon gar nicht, nachdem er die Urlaubsreise für den Sommer gebucht und angezahlt hatte.

Vor drei Jahren war ihm diese Idee gekommen. Er hatte sich von dem Kaufhaus als Weihnachtsmann einstellen lassen. Das brachte zwar längst nicht genug ein, um davon das Fest finanzieren zu können, doch es war die perfekte Tarnung. Wie auch in den Jahren zuvor nutzte er seine Aufwärmpause, um seinen Sack wieder aufzufüllen. Aber nicht nur mit dem billigen Nippes aus Taiwan, den er für das Kaufhaus als nette Werbegeste verteilen sollte.

Auf dem Weg zum Lager schaute er mal in dieser, mal in jener Abteilung vorbei, betrachtete die Regale und verstaute ganz unten im Sack das eine oder andere Geschenk für seine Familie. Sogar die Weihnachtsgans kam auf diesem Weg in seinen Ofen. Tiefgefroren versteht sich. Und während er dort draußen bei minus zwei Grad mit der Gans tief unten in seinem Rucksack verstaut stand, brauchte er nicht einmal Angst zu haben, dass sie antaute. Nein, dieser Job war wirklich perfekt, so um Weihnachten.

Außer der Gans war heute noch das Geschenk für seine Frau dran. Unschlüssig durchforstete er die Parfumregale. Nach Schmuck hatte er schon geguckt. Doch der wurde von einer kräftig gebauten Endvierzigerin gut bewacht. Die Frau sah nicht so aus, als wenn sie ein Problem damit gehabt hätte, sich bei dem geringsten Verdacht auf einen vollbepackten Weihnachtsmann zu stürzen und ihn zu Boden zu werfen. Das schien Willard zu riskant. Schmuck oder Parfum, etwas anderes konnte man einer Frau doch wohl kaum schenken. Also blieb nur ein Parfum.

„Coco Chanel“, das klang nach frischen Nüssen. Wohl das richtige für Weihnachten. Vielleicht ein wenig zu viel Südsee, aber das stimmte sie auf den Sommerurlaub ein. Schnell und geschickt ließ Willard das Fläschchen im Sack verschwinden. Schade, dass er es auf diese Weise nicht als Geschenk verpacken lassen konnte. Er musste dringend daran denken, noch etwas Geschenkpapier mitgehen zu lassen.

Plötzlich stellte Willard fest, dass neben ihm noch ein Weihnachtsmann stand. Der lächelte ihn durch den gleichen albernen Kunstbart freundlich an.

„Hallo, Kollege“, sagte Willard. „Hoh, hoh, hoh“, gab der andere breit grinsend zurück.

„Hast du es gut, du brauchst keinen Sack zu schleppen“, scherzte Willard, als er bemerkte, dass der andere Weihnachtsmann nur mit einer Rute ausgestattet war.

„Dafür trage ich das hier“, antwortete der andere noch ein wenig breiter grinsend und zeigte ihm einen Ausweis, der ihn zum Ladendetektiv machte. Willard spürte auf einmal die gefrorene Gans glaskalt auf dem Rücken. „Darf ich da mal reinsehen?“ forderte ihn der Detektiv immer noch freundlich auf.

*

„211 bitte für 16“, tönte die Sprechanlage des Kaufhauses. „Die 211 bitte.“ Tissi hielt mitten in der Bewegung die Schere still. Sie hatte diesen Singsang der Durchsage sofort erkannt. Das war Magarethe, die etwas von ihr wollte. Die Kundin schaute irritiert von ihrem Modejournal auf, in dem die Frisuren abgebildet waren, die kein Kaufhausfriseur der Welt auch nur annähernd hinkriegen würde.

„Vera übernimmst du mal bitte!“, sagte Tissi und drückte der fegenden Vera ihre Clips und die Schere in die Hand.

„Sie können doch nicht mittendrin aufhören und mich hier so sitzen lassen!“ empörte sich die Frau.

„Das macht die Vera fertig. Ich muss leider kurz zum Chef“, rief Tissi, legte ihren Kittel auf den freien Stuhl, nahm eine große Sporttasche mit und verließ den Glaskasten, der den Friseurbereich vom übrigen Kaufhaus abteilte.

Maggi kassierte gerade einen Teenager ab, der sich einen BH mit dem Aufdruck „It’s all for you, Bon Jovi“ gekauft hatte. Tissi stellte sich auf die andere Seite der Kasse und grinste.

„Bin gleich fertig“, rief Maggi ihr zu.

„Läuft gut, diese Bon Jovi BH Edition, was?“

„Die spinnen doch alle, völlig verrückt, hier – ich hab was für dich“, rief Maggi und zog einen braunen Pappkarton mit farbigem dpd-Aufkleber unter dem Tresen hervor.

„Hast du’s tatsächlich gekriegt?“

„Na klar. Willst du es anprobieren?“

„Lass uns Pause machen und in die Umkleideräume gehen. Ich mag diese engen Kabinen hier nicht.“

„Gut. Aber ich verstehe nicht, wozu du einen roten Samt-BH mit weißen Plüschrand brauchst“, sagte Maggi und quälte sich hinter der Kasse hervor.

„Ist ein Weihnachtsgeschenk für Manfred.“

„Trägt der so etwas? – Na, das geht mich wohl nichts an.“

„Ach Quatsch. Komm schon ich zeig dir, wie ich mir das vorgestellt habe!“

*

Es war genau fünf Minuten vor fünf, als sich vor allen drei Eingängen des Kaufhauses diverse Weihnachtsmänner mit leeren Jutesäcken versammelten. Zur gleichen Zeit fuhr ein 7,5 Tonner die Auffahrt zur Tiefgarage hinunter und parkte an der Laderampe für Zulieferer. Ein Kleinbus parkte direkt am Hintereingang. Eine unangemeldete Demonstration von dreißig Weihnachtsmännern bildete einen lockeren Pulk neben dem Lastkraftwagen.

Kein Passant kümmerte sich um die Ansammlung von Weihnachtsmännern. Solche Werbeaktionen irgendwelcher Großfirmen war man zur Weihnachtszeit gewohnt und eher schon überdrüssig. Daran änderte sich auch nichts, als ein Teil der Weihnachtsmänner sich mit vollautomatischen Schnellfeuergewehren aus dem Lastwagen versorgte.

*

„Hmm, guter Geschmack mein Bester, Coco!“, sagte Brunner und hielt dem diebischen Weihnachtsmann die glänzende Packung direkt vor die Nase. „Dafür haben wir ja sicherlich auch eine Quittung!“

Willard antwortete nicht.

„Einen Bon? Kassenzettel? Irgendetwas, das Sie als rechtmäßigen Besitzer ausweist?“

„Sie dürfen meine Taschen ja gar nicht durchsuchen, das darf nur die Polizei“, entgegnete Willard trotzig, obwohl er wusste, dass er damit nicht durchkommen würde.

„Sollen wir die Polizei holen?“

„Wenn es unbedingt sein muss. Ich würde es vorziehen, darauf zu verzichten.“

„Hmm“, brummte Brunner zufrieden. „Also dann.“ Er griff erneut in den prallvollen Rucksack. „Aah!“ rief er und zog die Hand hastig zurück. „Was ist das denn?“ Brunner wischte sich die feuchten Finger an seinem roten Samtmantel ab.

„Eine Gans“, erklärte Willard. „Tiefgefroren, wenn’s recht ist.“

„Sagen Sie mal, Sie arbeiten doch hier, nicht wahr?“

„Ja, oberflächlich gesehen sind wir Kollegen. Der Uniform nach meine ich.“

„Kann schon sein, hier laufen zur Zeit jede Menge Weihnachtsmänner herum. Für meinen Geschmack sind das ja ein bisschen viele.“ Willard folgte Brunners Blick durch das Kaufhaus. Er zählte allein in der vorderen Hälfte des ersten Stockes elf Weihnachtsmänner, vier davon standen in einer Gruppe am Haupteingang und diskutierten.

„Hören Sie“, fuhr Brunner fort, „bevor Sie mir jetzt die Geschichte mit den großen, traurigen Augen ihrer Kinder und dem enttäuschten Gesicht ihrer Frau, die schon seit Jahren nicht mehr im Urlaub war und so weiter, erzählen, schlage ich vor, wir gehen in mein Büro und überlegen, wie Sie einigermaßen akzeptabel aus diesem Schlamassel wieder herauskommen.“

Das klang vernünftig, geradezu freundlich und Willard willigte hoffnungsvoll ein. Vielleicht kam er ja mit einem blauen Auge davon.

*

„Franz! Schau dir das mal an. Eine wahre Invasion von Weihnachtsmännern“, rief Jochen seinem Kollegen zu, der gerade mit zwei Kaffeebechern bewaffnet wieder in den Aufsichtsraum mit den vielen Monitoren kam.

„Jou. Und guck mal da, auf der Sieben, ist das nicht der Brunner!“

„Hat wieder einen geschnappt.“

„Ach, der lässt die doch eh alle laufen, kassiert kaum mal ’ne Prämie. Viel zu weiches Herz, wenn du mich fragst“, maulte Franz und nahm Jochen einen der Becher ab.

„Vor zwei Jahren, war das doch? Da hatten wir schon mal so eine Weihnachtsmann-Epidemie.“

„Die Masche war der Renner. Wenn die da alle zum Klauen da sind, hat Brunner gleich alle Hände voll zu tun.

„Keine Angst. Die Arbeit nehmen wir ihm gerne ab“, sagte eine Stimme. Sie gehörte weder Franz, noch Jochen. Folglich hatte sie hier gar nichts zu suchen.

Franz und Jochen drehten sich gleichzeitig im Zeitlupentempo um und starrten in drei bärtige Weihnachtsmann-Gesichter und zwei kurzläufige Revolver.

„Ganz ruhig bleiben!“ riet ihnen einer der Kuttenträger.

Franz und Jochen trugen keine Waffen. Sie hatten Familie und lediglich einen Becher voll heißen Kaffees zu ihrer Verteidigung aufzubieten. Keiner der beiden dachte daran, damit gegen zwei, vielleicht schießwütige, Weihnachtsmänner anzutreten.

„Du da, links! Stell den Becher ab und geh mit Klaus 21. Er wird dir sagen, was du zu tun hast.“

Jochen bemerkte erst jetzt, dass die Weihnachtsmänner große weiße Nummern, wie Fußballspieler, auf dem Rücken trugen. Von einem fairen elf gegen elf schienen die Männer jedoch nicht allzu viel zu halten.

Jochen stellte folgsam den Becher ab. „Ich hoffe du hast den Generalschlüssel dabei, denn brauchen wir nämlich.“ Jochen nickte und verschwand mit Klaus 21.

„Klaus 7, an die Arbeit!“

Der Kerl mit der 7 auf dem Rücken schwang sich auf den leeren Platz und begann die Kameras neu einzurichten.

„Alles klar“, sagte Klaus 7.

„Du machst jetzt mal Pause. Setz dich auf den Boden und bleib ganz ruhig. Vielleicht brauchen wir dich ja noch.“

„Siehst du, so habe ich mir das vorgestellt“, sagte Tissi und zog einen karminroten Kapuzenmantel, wie sie Weihnachtsmänner bevorzugten, aus ihrer Tasche hervor.

„Ach du meine Güte“, rief Maggi. „Du verkleidest dich als Weihnachtsmann.“

„Ja, genau.“ Tissi zog den Mantel über, ließ ihn offen und stellte ein weiß bestrumpftes Bein leicht angewinkelt vor. „Sieht doch Klasse aus, oder?“

„Sehr sexy. Ich hoffe, du singst dann auch ein paar Weihnachtslieder und sagst ein Gedicht auf. Drauß’ vom Walde komm ich her. “

„Ich muss euch sagen, er regt sich kaum mehr…“, fuhr Tissi fort und zupfte an ihrem roten BH mit Plüschrand herum bis sich eine möglichst glatte und tiefe Spalte zwischen den Brüsten abzeichnete. „Und hier wäre dann der Platz für mein Weihnachtsgeschenk.“

Maggi lachte laut auf. „Mein Gott, du bist vielleicht ‘ne Marke.“

In diesem Moment wurde die Tür zur Umkleidekabine für die weiblichen Angestellten geöffnet. Ein kräftig gebauter Weihnachtsmann stand in der Tür und starrte sein, um einige Klassen erotischeres, Pendant an.

„Die Umkleide für Männer ist zwei Türen weiter links“, grunzte Maggi und stellte sich wie ein Paravent vor Tissi, die schnell die Mantelhälften übereinander schlug und festhielt.

„Hoh, hoh, hoh. Das wäre mal was für unser Team!“ grölte Klaus 34 und wollte sich schütteln vor Lachen.

„Raus hier!“, rief Maggi und schob ihre 98 Kilo drohend einen Schritt vor.

„Immer mit der Ruhe“, antwortete der Weihnachtsmann und konnte gar nicht mehr aufhören zu lachen.

„Ich sag es nicht noch mal, Sie haben hier nichts zu suchen!“

Einen weiteren Schritt traute sich Maggi nicht vor, denn der Kerl hatte jetzt seinen Mantel aufgeschoben und statt dessen, was Maggi dort zu sehen vielleicht noch erwartet hätte, und womit sie ganz sicher ohne weiteres fertig geworden wäre, reckte sich der Lauf eines Schnellfeuergewehrs unter dem Mantel hervor.

„Ich habe einen Faible für starke Frauen, vor allem wenn sie nicht dumm sind. Also ganz ruhig, meine Liebe! Geh mal ein paar Schritte beiseite, so dass ich euch beide besser sehen kann.“

Maggi gehorchte widerwillig, aber wenn dieser Mistkerl Hand an Tissi legen würde, dann würde Sie sich ganz schnell ihrer Dummheit erinnern und der Knabe sein blaues Wunder erleben. Gewehr hin oder her.

„Hier entlang, bitte“, sagte Brunner und hielt die Feuertür mit dem Schriftzug ‘Zutritt nur für Personal’ auf.

„Danke, ich kenne den Weg“, antwortet Willard und registrierte bei Brunner ein leichtes Schmunzeln, das sofort wieder erstarrte. Brunner sah besorgt zurück und hielt die Tür noch auf, obwohl Willard längst durchgegangen war.

„Irgendetwas ist da faul“, murmelte Brunner halblaut und beobachtete Jochen, der mit einem Weihnachtsmann im Gefolge auf einen der Haupteingänge zuging. Willard ging den halben Meter zurück und folgte Brunners Blick. „Ist das nicht einer aus der Überwachung?“

„Was hat der um diese Zeit an den Türen zu suchen?“

Willard zuckte mit den Schultern. Die Sache ging ihn nichts an. Er hatte momentan wirklich andere Probleme.

„Also“, sagte Brunner plötzlich energisch. „Ich werde mir die Sache mal näher ansehen. Sie warten vor meinem Büro. Ich würde ihnen raten nicht abzuhauen.“

Brunner ließ Willard beinahe die Tür ins Kreuz fallen, so schnell war er verschwunden.

Einen Moment lang dachte Willard darüber nach, wie seine Chancen stünden, wenn er jetzt doch einfach abhaute. Es stand Aussage gegen Aussage. Damit käme Brunner nicht durch. Keine Beweise. Keine Anklage. Und den Job hier war er sowieso los.

Willard war nicht blöd und machte sich unverzüglich auf den Weg zu den Umkleideräumen, um seine Sachen zu holen und auf nimmer Wiedersehen zu verschwinden.

*

„Schließen Sie die Türen“, befahl Klaus 21.

„Aber es ist noch längst nicht Ladenschluss und das Kaufhaus ist voller Leute.“

„Zerbrechen Sie sich nicht unseren Kopf. Tun Sie einfach, was man ihnen sagt. Dann ist alles in Ordnung.“

Jochen spürte die Mündung des Revolvers in seinem Rücken und öffnete ohne weitere Widerrede die kleine Klappe an der Eingangstür. Die umstehenden vier Weihnachtsmänner schlossen wie auf Kommando die Glastüren und Jochen drehte den Schlüsseln zum Verriegeln um.

„Das ist doch Unsinn, wenn die Leute nicht rein kommen, werden sie die Polizei holen“, erklärte Jochen und hoffte, diese Leute würden von ihrem Vorhaben Abstand nehmen.

„Kein Mensch wird die Polizei rufen“, sagte Klaus 21 und in diesem Moment beklebten einige Weihnachtsmänner die Türen mit großen Pappen, auf denen ‘Vorübergehend wegen Filmaufnahmen geschlossen’ stand.

„So, und nun gehen wir zu den anderen Eingängen.“

„Jochen, was geht hier vor?“ rief Brunner, als er bis auf wenige Schritte an den Haupteingang herangekommen war.

„Benutzten Sie bitte den Ausgang im Tiefpattere, hier ist aus technischen Gründen momentan geschlossen“, wies einer der Weihnachtsmänner eine Kundin an, die sich beschwerte, weil sie nicht herauskonnte.

„Brunner! Seien Sie …“

„Halt die Klappe“, rief Klaus 21 dazwischen und zeigte Brunner seine Waffe. „Und Sie machen besser keinen Ärger! Wäre doch schade, wenn Sie den Helden spielten und heute Abend niemandem mehr von ihrem kleinen Abenteuer erzählen könnten.“

„Schon gut, schon gut“, sagte Brunner gelassen und hob die Hände.
„Lassen Sie die Hände unten, wir wollen doch die Kunden nicht irritieren. „Klaus, bring den Detektiv in den Überwachungsraum. Sollen die sich mit ihm herumschlagen.“

Das waren Amateure, erkannte Brunner sofort. Sich mit Namen ansprechen, war nun wirklich ein ganz dicker Schnitzer.

„Und durchsuch ihn nach Waffen, ja!“

„Okay.“ Klaus hatte offensichtlich keine Waffe, aber seine Hände hielten etwas Verdächtiges unter dem Mantel fest. Brunner rechnete sich seine Chance aus, den Mann zu überwältigen. Er hatte zwar keine Pistole dabei, aber immerhin noch die Rute in der Hand.

„Vorwärts“, befahl Klaus und der andere Weihnachtsmann zog Jochen mit zum nächsten Eingang.

*

Bei den Umkleideräumen für Frauen hielt Willard plötzlich inne. Eine ungewöhnliche Stimme drang aus der halboffenen Tür und Willard lauschte neugierig.

„Wenn wir ein bisschen mehr Zeit hätten, Schätzchen, dann würde ich dir glatt das Rentier machen, aber leider …“

„Fass sie ja nicht an, sonst …“

„… sonst was?“

Willard hatte vorsichtig die Tür ein wenig aufgeschoben. Ein Weihnachtsmann stand mit dem Rücken zum ihm und vor ihm zwei Frauen, denen der Mann augenscheinlich Ärger bereitete. Willard bemerkte, dass die Frauen ihn gesehen hatten. Hoffentlich verriet ihr Blick dem anderen nicht, was sich in seinem Rücken zusammenbraute.

Aber die Frauen hatten ihn nur einen Bruchteil angesehen und gleich wieder den Blick in eine andere Richtung gelenkt.

„Lass doch, Maggi. Vielleicht wird das ganz lustig“, sagte die Frau, die ebenfalls Ähnlichkeit mit einem Weihnachtsmann hatte und zog ihren Mantel auf, um den Eindringling von dem Geschehen hinter sich abzulenken. Doch das war keine gute Idee. Am meisten wurde Willard abgelenkt. Er hielt mitten in der Bewegung inne. Die Frau trug unter ihrem roten Mantel lediglich Unterwäsche und was für welche. Sie hätte ein gutes Playboy-Bunny abgegeben, nur dass ihre Wäsche rot war. Noch röter als Willards Wangen, der Rot für eine wirklich geile Farbe hielt.

Die Frauen starrten jetzt unbeherrscht zu Willard herüber, der mit erhobenen Sack wie eine Statue dastand. Sie hatten damit gerechnet, dass Willard genau in dieser Sekunde zuschlug. Doch er tat es nicht, obwohl dies unzweifelhaft der beste Moment dafür gewesen wäre. Nun bemerkte auch der Spieler mit der großen weißen 34 auf Rücken, dass sich hinter ihm etwas tat und drehte sich um.

Der Anblick des unter dem Mantel aufgerichteten Gewehrlaufes brachte Willard schlagartig wieder auf den Punkt zurück. Er zog mit aller Kraft durch und die Tiefkühlgans traf Klaus 34 hart an der Schulter. Das Schlüsselbein war mit absoluter Sicherheit sauber gebrochen.

Eigentlich hatte Willard auf den Kopf gezielt und das wäre auch nötig gewesen, um den kräftigen Gegner mit einem Schlag auszuschalten, aber der andere hatte ein hochentwickeltes Reaktionsvermögen und wäre dem Sack um ein Haar noch gänzlich ausgewichen. Willards Reflexe hingegen waren wie betäubt. Der Sack hing am erschlafften Arm hinunter. Er sah zu, wie der Mann zu Boden ging, den Fall aber noch abfing und schon drohte, wieder auf die Beine zu kommen. An einen weiteren Schlag dachte Willard einfach nicht. Er sah nur gebannt zu, wie sich die Gefahr vor ihm wieder aufzubauen begann.

Ganz hochrappeln konnte sich Klaus 34 jedoch nicht, da takelte ihn der kräftigste Spieler der Defence Line aus der Miederwarenabteilung und zwang ihn erneut zu Boden. Maggis Reflexe waren nicht eingeschlafen. Nur ihre Technik ließ zu wünschen übrig. Statt den Gegner mit zwei, drei schnellen Hieben auszuschalten, schwang sie ihre 186 Pfund auf seinen Brustkorb und begann ihn hemmungslos zu würgen, bis der purpurrot anlief.

Willard hatte den Sack mit der Gans einfach losgelassen und es gab einen dumpfen Knall als sie aufschlug. Dann zerrte er an Maggis Schultern, die einfach nicht von dem Mann am Boden ablassen wollte. „Hören Sie auf, der rührt ja schon nicht mehr.“

„Der Scheißkerl wird sich nie wieder rühren!“

„Maggi, komm lass ihn los. Es ist ja alles in Ordnung, – nichts passiert“, redete Tissi beruhigend auf ihre Freundin ein. „Schau her, ich hab alles unter Kontrolle.“

‘Nicht ganz’, dachte Willard. Tissi hatte sich zwar das Gewehr gegriffen und hielt es korrekt in die entsprechende Richtung, aber dadurch hatte sie natürlich keine Hand mehr frei, um ihren Mantel festzuhalten. Willard drohte einen Moment lang wieder in einem gefährlichen Tagtraum zu versinken. Doch nur für einen kurzen Moment. Die Lage war einfach zu ernst, um jetzt an Sex zu denken.

„Lassen Sie ihn los“, befahl Willard erneut und zog wieder an Maggis Armen.

Als Maggi endlich von dem Mann abgelassen hatte, schnappte er im kleineren, hektischen Intervallen nach Luft, wie ein Fisch auf dem Trocknen.

„Nehmen Sie Ihren Arm da weg“, grunzte Maggi, die anscheinend in der Stimmung war, grad mal jedem Weihnachtsmann, der ihr zu nahe kam, an die Gurgel zu gehen.

„Schon gut“, sagte Willard und beobachtete wie die Atmung von Klaus 34 immer schneller zu werden schien.

„Was hat denn der?“ wollte Tissi wissen, als er sich gar nicht wieder zu fangen schien und inzwischen ins bläuliche abdriftete.

„Entweder hat ihre freundliche Kollegin ihm den Adamsapfel zerquetscht, oder der Kerl hyperventiliert.“

„Was sollen wir jetzt machen? Müssen wir ihm nicht helfen?“ Tissi wedelte unbeholfen mit dem Gewehr hin und her.

„Halten Sie das bitte nur in seine Richtung, ja!“

„Stirbt der?“ fragte Tissi, als Klaus 34 fing an sich am Boden zu krümmen und seine Hände epileptisch zu zucken begannen.

„Von mir aus gerne, hoffentlich habe ich ihm das Genick gebrochen!“ grunzte Maggi.

„Wohl kaum. Der hat zu viel Sauerstoff geschnappt, nachdem er wieder Luft kriegte. Jetzt ist er nicht mehr zu stoppen, das Blut übersäuert. Siehst du, da nimmt er schon die Embryostellung ein. Gleich schaltet ihn sein Rückenmark ab und übernimmt die Atmungskontrolle.“

Kaum hatte Willard es erwähnt, atmete Klaus 34 plötzlich ganz ruhig und war ohnmächtig.

„Das hält nur ganz kurze Zeit. Der wird gleich wieder klar. Bis dahin sollten wir überlegt haben, was wir mit ihm machen.“

Maggi ging ohne Zögern Richtung Tür. „Ich gehe rüber in die Warenannahme und hole einen Tucker, dann nageln wir ihn auf die Bank.“

„Ähhm“, räusperte sich Willard. Vielleicht tut auch es etwas Kordel und ein bisschen Klebeband. Wir sollten jede Überreaktion unsererseits vermeiden …“

„Ich bringe, was ich finde.“

„In Ordnung“, sagte Willard und begann, den kaltgestellten Weihnachtsmann zu durchsuchen.

„Sehr geehrte Damen und Herren. Aufgrund unseres außergewöhnlich frühen Geschäftsschlusses bitten wir Sie, sich unverzüglich zur nächstgelegenen Kasse begeben und dort den Anweisungen unseres Personals zu folgen. Um unnötiges Chaos zu vermeiden, stellen Sie sich bitte von links an den Kassen an. Vielen Dank für ihr Verständnis.“

Brunner konnte auf den Monitoren verfolgen, wie sich die Kunden irritiert umsahen und ratlos dort verharrten, wo sie gerade standen. Außer ihm befanden sich noch zwei Weihnachtsmänner und Franz in dem Überwachungsraum. Einer von ihnen hielt Franz und Brunner mit einer Pistole in Schach. Der andere murmelte etwas halblaut in seinen Bart, das ‘Zeigt’s ihnen klang’. Kurz darauf beobachtete Brunner, wie die Kunden anfingen, panisch durcheinander zu laufen und hinter den Regalen in Deckung zu gehen. Die Weihnachtsmänner hatten nun automatische Waffen unter der Kluft hervorgeholt und bedrohten damit die Fliehenden. Sekunden später schien sich die Situation wieder zu entspannen.

„Bitte leisten Sie den Anweisungen unseres Personals unbedingt Folge, dann wird Ihnen nichts geschehen. Gehen Sie jetzt alle zur Kasse, auch diejenigen, die nichts zu bezahlen haben. Geben sie dort der Reihe nach ihre Wertgegenstände ab und warten dann auf weitere Anweisungen an der ihnen genannten Zone.“

Zögernd befolgten die ersten Kunden die Aufforderung, die über die Kaufhauslautsprecher dröhnte. Es dauerte eine ganze Zeit lang, bis sich auch die letzten der Reihe der Lemminge angeschlossen hatten.

Auf einem anderen Monitor konnte Brunner sehen, wie eine andere Gruppe von Weihnachtsmännern begann, die Lagerware in einen Lkw zu verfrachten.

An den Kassen bildeten sich Schlangen und die Weihnachtsmänner plünderten Kassen und Kunden aus. Uhren, Geldbörsen und Schmuck, alles verschwand in den braunen Jutesäcken.

„Wo hast du solange gesteckt“, fragte Tissi, die den überwältigten Klaus 34, der jetzt nur noch weiße Schießer Feinripp-Unterwäsche trug und mit aufgestütztem Kopf auf der Bank saß, mit ihrem G3 bewachte.

„In der Warenannahme sind noch jede Menge von diesen falschen Weihnachtsmännern. Die klauen alles, was nicht niet- und nagelfest ist. Ich musste erst in das Büro des Personalchefs einbrechen, um wenigstens Klebeband zu kriegen“, berichtete Maggi völlig außer Atem.

„Draußen in den Verkaufsräumen sind auch jede Menge von ihnen.“

„Ich habe versucht, die Polizei zu rufen, aber das Telefon war tot.“

„Was wollen diese Kerle denn bloß?“ wollte Tissi wissen.

„Ist wohl so eine Art Kaufhausdiebstahl im großen Stil.“

„Die haben ja nicht alle Henkel an der Tasse“, brummelt Maggi, während sie den Gefangenen mit Klebeband wie eine Mumie zu umwickeln begann.

„Hier, das hatte der Kerl unter dem Bart und der Mütze“, sagte Willard und hielt ein Ding an zwei Kabeln hoch.

„Was ist das?“

„Eine Art Funksprechgerät“, erklärte Tissi, die dieselbe Frage keine drei Minuten zuvor gestellt hatte.

„Das sind Profis. Die sind bestens ausgerüstet. Besser als unsere Polizei.“

„Ist mir völlig egal. Den hier haben wir kaltgestellt. Wenn die mir die frisch eingetroffenen Triumph-Korseletts klauen, dann steh ich kurz vor Weihnachten wieder auf dem Schlauch“, knurrte Maggi, die sich schon wieder aufzuregen begann. „Tissi gib mir mal deine Strümpfe, wir müssen den Kerl ja mit irgendetwas vernünftig fesseln.“

Tissi löste den ersten Strumpfhalter und hielt dann plötzlich inne. Sie ging zu ihrer Tasche. „Geht das hiermit nicht besser?“ Sie hielt ein nagelneues Paar Handschellen hoch.

Maggi schaute sie entgeistert an.

„Sind Bestandteil des Weihnachtsgeschenkes“, erklärte Tissi nüchtern.

„Warum hast du mir die nicht früher gegeben, dann hätte ich mir den ganzen Zirkus hier sparen können?!“

„Hab nicht dran gedacht. Bin grad erst drauf gekommen, dass man die ja auch für Verbrecher nehmen kann.“

„Oh Gott, Tissi!“

Willard grinste breit und half, den Gefangenen an die Spindtür zu ketten.

„So, der ist versorgt!“ grunzte Maggi zufrieden. In der Tat konnte der Mann sich kaum rühren, ohne vor Schmerz das Gesicht zu verziehen. Wenn er wenigstens nicht ganz so behaart gewesen wären.

„Jetzt gehen wir in die Kommandozentrale!“, erklärte Willard unvermittelt.

„Was für eine Kommandozentrale?“

„Na, von irgendwo müssen diesen Typen ja ihre Befehle kriegen. Der einzige Punkt, von wo aus man das ganze Kaufhaus überblicken kann ist …“

„… der Überwachungsraum“, riefen beide Frauen.

„Genau. Also haben sie dort ihre Kommandozentrale untergebracht.“

„Gut überlegt“, lobte Maggi und wollte schon loslaufen.

„Halt!“ fuhr Willard sie an. „Vielleicht sollten wir uns alle ein wenig tarnen.“

„Was?“

„Na ja, die sehen alle aus wie Weihnachtsmänner. Tissi und ich auch. Und hier …!“ Willard hielt Maggi die erbeutete Kutte hin. „… haben wir noch eine Tarnkappe.“

„Wenn ich da mal reinpasse“, stöhnte Maggi widerwillig.

„Bart und Stiefel aber auch!“ beharrte Tissi gutgelaunt.

„Gib endlich das Gewehr dem …“

„Willard!“

„Gib das Gewehr Willard und mach endlich den Mantel zu, du kleines Luder!“

„Hat aber keine Knöpfe. Das war ja so gar nicht vorgesehen“, alberte Tissi vergnügt.

„Na dann halt ihn wenigstens zu. Mein Gott, das kann ja noch was werden.“


*

Brunner bekam allmählich ein nervöses Zucken in seinen Händen. Die Gangster kassierten immer weiter von Kunden ab, während er dasaß und dem Treiben tatenlos zusehen musste.

Der Weihnachtsmann mit der großen 1 auf dem Rücken behielt ihn und Franz genau im Auge und Brunner hatte nicht das Gefühl, dass die Pistole, die er auf sie richtete, nur ein nettes Accessoire sein sollte.

Brunner dachte so heftig über eine Möglichkeit nach, den Kerl zu überwältigen, dass sich auf seiner Stirn schon Schweißperlen bildeten. Die einzige Chance war, wenn der Mann auf seine Uhr schaute und das tat er etwa alle 60 Sekunden.

Gerade eben hatte er es wieder getan, aber es ging so schnell, dass Brunner nicht einmal unbemerkt den Arm hätte heben können.

In den Augenwinkeln sah Brunner, wie schräg hinter ihm vorsichtig die Tür geöffnet wurde. Vielleicht bot sich jetzt die passende Gelegenheit? Ein weiterer Weihnachtsmann betrat den engen Raum. Aber was für einer. Lange Beine, Strapse, 12cm Pumps, mit prall gefülltem Push-up-BH. Und in den Händen ein Tablett mit Kaffeetassen.

„Kaffee, die Herren?“ Brunner erkannte die Kleine aus dem Frisiersalon. Tissi beugte sich vor und Klaus 1 versank den Bruchteil einer Sekunde in ihrem Ausschnitt. Brunner reagiert sofort und wollte sich auf ihn stürzen. Doch es war zu spät. Der Mann jaulte vor Schmerz auf. Während sie sich vorbeugte hatte Tissi das Tablett mit den Kaffeetassen gleich mit gekippt, und Brunners Bewacher mit heißem Kaffee verbrüht. Ein weiterer Weihnachtsmann, der inzwischen in den Raum gestürmt war hielt dem Brüllenden den Lauf eines automatischen Gewehres vor die Brust.

Brunner schaute hinüber zu dem Gangster an der Monitorwand. Der versuchte zur Sprechanlage zu greifen, doch diesmal war Brunner schneller. Ein kurzer, geübter Schlag mit der Handkante und der Mann sank bewusstlos im Stuhl zusammen.

„Mensch, verdammt“, brüllte jemand hinter Brunner. Ein dritter Bär von einem Weihnachtsmann hatte sich in den kleinen Kontrollraum geschoben. Er griff nach Willards Gewehr und riss es ihm aus der Hand. Brunner stand voll unter Strom und machte sich bereit zum Sprung. Noch während der Drehung schlug der massige Weihnachtsmann Klaus 1 mit dem Gewehrkolben bewusstlos.

„Verdammt, der kann doch mit dem Funkgerät Verstärkung holen!“ erklärte Maggi. Brunner konnte seinen Satz nicht rechtzeitig abbrechen und rempelte sie heftig an. Maggi dreht sich um und erkannte Brunner.

„Und Sie! Was treiben Sie hier. Ich denke, Sie sollen aufpassen, dass hier keiner was klaut. Was glauben Sie denn, was die da unten machen!“ Maggi deutet auf die Monitore. „Also, wenn das nicht klauen ist, dann…“

„Schon gut, schon gut“, schrie Willard. „Jetzt beruhigen wir uns erst mal alle.“

„Wir brauchen schnellstens einen Plan“, sagte Brunner und nickte Willard anerkennend zu. „Wie ich sehe, gibt es solche und solche Diebe. Hätte gewettet, Sie wären schon in Mekvopo.“

„Wir sollten uns erst mal um solche Diebe kümmern!“

„Einverstanden. – Übrigens gute Arbeit Mädels!“ lobte Brunner.

„Was man von Ihnen …“

„… hör schon auf, Maggi. Dafür ist jetzt keine Zeit“, rief Tissi ungewohnt energisch.

„Danke“, sagte Brunner. „Also, was haben wir? So, wie ich das sehe, ein Gewehr und zwei Pistolen, richtig?“

„Und drei Funkeinheiten“, ergänzte Brunner.

„Richtig. – Was können wir damit tun?“

„Im Kaufhaus sind zu viele Kunden, da können wir gar nichts machen. Aber in der Warenausgabe könnten wir ihnen das Leben schwer machen.“

„Gute Idee.“ bemerkte Brunner und schaute nachdenklich auf die Monitorwand. „Sag mal, ist das einer mit einem Funktelefon?“ fragte er Franz, der wieder auf seinem Stuhl Platz genommen hatte.

„Ich denke schon.“

„Damit könnten wir doch die Polizei informieren, nicht wahr?“

„Dann müsste einer von uns da runter. Das ist aber gefährlich.“

„Heh, wo bleibt die Zeit“, tönte es in die kurze Stille. Die Frage kam aus dem Ohrhörer, den Brunner eben Klaus 1 abgenommen hatte.

„Verdammt. Die werden merken, dass hier was nicht stimmt“, sagte Willard.

„Wir können uns hier gut verschanzen“, erklärte Franz. „Die Türen halten einigem stand.

„Aber wir können uns nicht gegen so eine Überzahl verteidigen.“

„Die sollen bloß kommen“, grunzte Maggi.

„Warte mal“, rief Brunner und nahm Klaus 1 die Armbanduhr ab. „Dachte ich’s mir doch. Hier, ein Timer. Wir haben noch 20 Minuten. Der Kerl hat jede Minute auf die Uhr gesehen und dann die verbleibende Zeit durchgegeben. Los, Franz probier’s einfach.“

Franz stöpselte den Knopf ins Ohr, legte das Kehlkopfmikro an und nahm den Timer. „Noch 20 Minuten.“

Nach einer kurzen Pause kam die Antwort. „Okay, aber lass uns hier nicht hängen, von jetzt an wieder regelmäßig.“

„Funktioniert“, jubelte Brunner. „Also Franz, du bleibst hier und gibst ihnen schön die Zeit durch. Halt sie einfach bei Laune. Ich kümmere mich um den Typen mit dem Handy. Und, … Willard nicht wahr? Werdet ihr mit Kerlen in der Warenannahme allein fertig?“

Willard warf einen Blick auf den Monitor. „Na, das sind ja höchsten acht. Und ich hab ein Schnellfeuergewehr.“

„Kommt nicht in Frage!“ rief Maggi. „Das behalte ich!“

„Na, das meinte ich ja auch.“

„Gut, hier nehmen Sie die Pistole. Wenn die mich da unten erwischen, kann ich eh nicht schießen, ohne Unschuldige zu gefährden. Besser, ich komme gar nicht erst in Versuchung.“

Tissi nahm die Waffe.

„Also viel Glück!“

*

Brunner hatte seinen Mantel mit dem der Nummer 7 getauscht. Im Erdgeschoß hatte er den Kerl mit dem Handy schnell ausgemacht. Er konnte es kaum fassen, der Kerl stand ein wenig abseits der Schlange an einem Regal mit Sonnenbrillen und telefonierte. Nicht genug damit, zwischendurch probierte er auch diverse Brillen aus und betrachtet sich amüsiert im Spiegel.

Als Brunner auf Hörweite herangekommen war, hörte er: „Ja, mein Schatz, ich komme später. – Ach, das wirst du nicht glauben, Liebling. – Na gut, ich bin hier im Kaufhaus und werde ausgeraubt. – Ja, ausgeraubt! – Von einer ganzen Horde Weihnachtsmännern. – Das ist kein Scherz, Mausi.“

„Heh, Sie!“ rief Brunner den Mann an.

„Moment noch, ja. Ich werde ja wohl noch zu Ende telefonieren können. Sind schließlich meine Gebühren. Dann können sie das Telefon mitnehmen. Ist ja eh kodiert.“

Brunner war sprachlos, was war das für ein eitler, gelackter Spinner.

„Also, das sind mindestens dreißig Weihnachtsmänner hier.“

„Gib das Telefon her, du Depp!“ brüllte Brunner.

„Und bewaffnet sind die, sogar mit Schnellfeuer…“

„Jetzt ist aber Schluss.“ Brunner riss ihm das Telefon aus der Hand. „Warum haben Sie Blödmann denn nicht die Polizei gerufen?“

Brunner wollte gerade die 110 anwählen, da hörte er eine Stimme.

„Gut gemacht, Klaus 7. Den haben wir übersehen!“

Hinter Brunner stand Klaus 19 und hielt seinen Sack auf. „Nur gut, dass diese Handy-Junkies so blöd sind, was?“

„Genau“, sagte Brunner deprimiert und ließ das Handy in den Sack fallen. „Gut, dass die so blöd sind!“ grunzte Brunner dann noch einmal wütend zu dem Yuppie hinüber.

„Sieh mal zu, ob du noch einen von denen findest. Hast ja wohl ’nen Blick dafür.“

„Gute Idee“, sagte Brunner und ließ die beiden Schwachköpfe stehen, um ziellos im Kaufhaus umherzustreifen. Die Wahrscheinlichkeit war gering, aber vielleicht fand er ja doch noch einen weiteren stolzen Handybesitzer.

*

Im Prinzip gingen Willard und Tissi hinter Maggi in Deckung, als sie die Warenannahme betraten. Doch das war völlig unnötig. Niemand schien sich um drei weitere Weihnachtsmänner zu kümmern.

„Was machen wir jetzt?“ fragte Tissi flüsternd, während sie interessiert die emsigen Verladearbeiten verfolgte. Gerade fuhr der zweite Laster vor.

„Keine Ahnung.“

„Vielleicht sollten wir sie Stück für Stück überwältigen und fesseln. Hast du noch mehr von diesen Handschellen, Tissi?“

Tissi schüttelte den Kopf.

„Das wird denen auch gar nicht auffallen, wenn sie so nach und nach immer weniger werden.“

„Was denn sonst?“

„Hilft alles nichts. Da müssen wir einfach durch“, sagte Maggi und hob langsam ihre Waffe. „So, nun hört mir mal zu, ihr Weihnachtsmänner!“

Die Männer mit den Kisten auf dem Arm und an den Hubstaplern hielten inne.

„Das Ding ist gelaufen. Ihr hebt jetzt alle ganz brav die Hände und kommt langsam hier rüber!“

„Scheiße“, flüsterte Willard. „Das war ja wohl die dümmste aller Ideen.“

Die Männer standen ziemlich ratlos da. Willard und Tissi unterstützten Maggis Forderung, indem sie ihre Pistolen hoben und auf die Weihnachtsmänner zielten.

„Nehmt endlich die Hände hoch, hab ich gesagt“, brüllte Maggi mit dem beeindruckendem Stimmvolumen einer 120cm Brust.

„Hier Klaus 4. In der Warenannahme gibt’s ein Problem“, hörte Willard, der den dritten Ohrstöpsel trug. „Sie rufen um Hilfe“, gab er die Information an Maggi weiter.

„Dann sollten wir gleich mal hinter uns schauen“, war ihr Kommentar.

Der erste Schuss kam von dem Lastwagenfahrer, der bisher überhaupt nicht in ihrem Sichtfeld gewesen war. Zur gleichen Zeit hatten auch die anderen Weihnachtsmänner wie aus dem Nichts ihre Knarren in der Hand und legten an. Während Tissi und Willard hinter die Kisten in der Nähe des Eingangs hechteten, befand Maggi, dass es an der Zeit war, ebenfalls den Finger zu krümmen. Die Salve strich quer durch Raum. Es schien Maggi kaum zu stören, dass einige der Kerle immerhin noch zurückschossen. Einem zu langsamen Weihnachtsmann, der brav seine Kiste in den Armen hielt, schoss sie glatt die Beine unterm Hintern weg. Aber sonst fabrizierte sie nur Löcher in den Wänden und Kartons.

Willard riss sich schwer zusammen. „Bist du denn völlig verrückt?“

Er sprang auf und riss Maggi an ihrer Kutte in Deckung. Sie landete hinter der Kiste und auf seinem Bein. Der Schmerz sagte ihm, dass es wahrscheinlich gebrochen war. Schüsse peitschten über die Kisten hinweg und schlugen in Willards Sichtfeld ein. Das war nicht das Weihnachten, das er sich wünschte. Er war kein Feigling, aber das hier war etwas zu viel Aktion für seinen Geschmack.

Willard konnte sich nicht rühren und bekam ziemlich schlecht Luft, weil Maggi immer noch halb auf ihm lag. Als er seinen Kopf ein wenig drehte, um besser atmen zu können, flogen ihm abgesprengte Putzbrocken ins Auge. Sein Herz ging viel zu schnell und seine Hose fühlte sich auf einmal feucht an. Das war nur Einbildung, aber er wäre jetzt wirklich gerne aufs Klo gegangen. Wenigsten musste er die Tränenbildung in seinen Augen nicht weiter rechtfertigen.

Dann hörte die Ballerei plötzlich auf. Willard wollte durchatmen, aber Maggi dachte nicht daran, sich auch nur einen Zentimeter zu bewegen und seinen Brustkorb freizugeben.

„Heeh, ihr da drüben. Gebt auf und kommt raus. Ihr habt keine Chance!“

„Das glaubt doch nur ihr“, brüllte Maggi zurück. Wenigstens wusste Willard jetzt, dass sie noch lebte und sich irgendwann wieder von ihm runter bewegen könnte, wenn sie nur wollte.

„Sag mal, die Alte spinnt doch“, hörte Willard halblaut von der Gegenseite.

Endlich bewegte sich Maggi und Willard atmete durch. Doch nur kurz, denn Maggi hatte sich aufgerichtet, das Gewehr wieder in Anschlag genommen und brüllte: „Wer spinnt hier wohl, du Wichtelmann!“

Dann krümmte sie wieder den Finger am Abzug. Doch statt des erwarteten Losknatterns kam nur ein dezentes Klick. Und dann ein hämisches Lachen von der Gegenseite.

Diesmal musste Willard sie nicht in die Deckung zerren. Sie ließ sich einfach fallen, als die anderen wieder mit dem Schießen anfingen. Willard schrie auf. Wenn das Bein eben nicht gebrochen war, jetzt hatte es geknackt und er fühlte es kaum noch.

„Das gibt’s doch nicht?“ jammerte Maggi. „Ich hab da doch nur einmal draufgedrückt. Ist denn da so wenig drin?“

„20 Schuss“, stöhnte Willard.

„Geh sie holen“, ertönte es drüben.

„Gib mir deine Pistole!“ forderte Maggi.

„Geht nicht, da sitze ich drauf und ich kann mich nicht bewegen.“

„Na, habt ihr ein Problem?“ Der Weihnachtsmann mit der Pistole im Anschlag stand neben der Kiste, die ihnen Deckung bot und sah kalt lächelnd zu ihnen herunter.

„Wir werden uns jetzt wohl keinen Ärger mehr machen, Mutti!“ Der Mann hob die Pistole und zielte auf Maggis Kopf. Ein Schuss löste sich und der Kerl fiel tot auf Maggi und damit auch auf die Reste von Willards Bein.

„Ich will nicht, dass noch einer von euch hier rüber kommt“, kreischte eine Stimme heiser und überschlug sich gegen Ende zu einem Piepsen.

„Da drüben ist noch eine“, rief jemand von der anderen Seite.

„Tissi! Gut gemacht!“ rief Maggi und schob den toten Weihnachtsmann von sich herunter.

„Ist er tot?“ piepste Tissi, die auf der anderen Seite der Lagerhallte in Deckung gegangen war, und sich bisher nicht gerührt hatte.

„Kopfschuss!“

„Das wollte ich aber nicht.“ Tissi hörte sich an, als wenn sie unmittelbar vor einem Nervenzusammenbruch stand.

„Tissi!“

„Ja!“

„Das war Klasse. Bei dem nächsten zielst du ganz genauso.“

Endlich robbte Maggi von Willard hinunter. „Gib mir die Pistole.“

Willard setzte sich, so gut er konnte, zurecht und tauschte seine Pistole gegen das leere Gewehr. Diesmal blieb Maggi in Deckung. Sie lugte vorsichtig hinter der Kiste hervor und hielt die Pistole im Anschlag. Drüben tat sich nichts.
„So wie ich das sehe, haben wir hier ein Patt.“

Auf der anderen Seite entstand Gemurmel. Willard hörte in seinem Kopfhörer nichts. Der war wohl nicht bruchfest, jedenfalls nicht bei über 150 Kilo Aufprallgewicht.

„Ihr sitzt in der Falle!“ rief einer von drüben.

„Ihr aber auch!“ brüllte Maggi zurück.

„Das werden wir ja sehen!“

Dann setzte die berühmte Ruhe vor dem Sturm ein.

*

„Irgendetwas geht schief“, hörte Brunner es in seinem Ohr tönen. „Im Warenlager gibt es Ärger.“

„Greifen wir auf Geiseln zurück?“

Die Lage wurde allmählich brenzlig. Die Kunden mussten aus dem Kaufhaus raus. Und zwar schnell.

„Klaus 1, welche Option?“ Brunner hätte das Ding am liebsten abgeschaltet. Es machte ihn nur nervös. „Klaus 1 antwortet nicht! Klaus 11 übernehmen. Wie gehen wir vor?“

‘Klaus 1 kann nicht antworten. Den haben wir schon kassiert.’, dachte Brunner und war versucht, das ins Mikrofon zu brüllen und dabei hämisch zu lachen.

„Hier Klaus 1. Es hat einen Zwischenfall in der Warenannahme gegeben. Wir brechen ab und ziehen uns zurück.“

Brunner blieb wie angewurzelt stehen. Hatte Franz gepennt und sich wieder überwältigen lassen? „Den Mistkerl schick ich in Rente!“ sagte er eine Spur zu laut. Einige herumstehende Kunden sahen ihn erschreckt an. Dabei entdeckte er Jochen. Er stand in einer Gruppe dicht am Eingang.

„Nehmen wir Geiseln?“

Eine kurze Pause, dann kam wieder die Stimme von Klaus 1.

„Nicht nötig. Es bleibt genug Zeit. Geordneter Rückzug.“

„Franz!“ rief Brunner.

„Nein. Ich bin Jochen!“

„Du doch nicht. Franz ist Klaus 1“, sagte Brunner. „Los Jochen, jetzt ist unsere Chance. Hast du noch den Hauptschlüssel?“

„Na klar.“

„Gut, dann lass uns hier unten die Tür aufschließen. Da ist eine U-Bahn-Station, vielleicht kriegen wir von da Verstärkung.“

Brunner hatte sich halb von Franz weggedreht. In Gedanken war er schon an der Tür, als ein verdächtiges Klicken hörte. Seine Erinnerung sagte ihm, da war eine Waffe entsichert worden. Richtig, da fühlte er auch schon den Lauf an seiner Stirn.

„Jochen!“

„Tut mir leid Brunner. Ich halte das für keine gute Idee.“

Brunner hasste sich für diese Situation. Das hätte ihm nicht passieren dürfen. Ein zweites Klicken. Langsam wurde der Lauf von seiner Schläfe zurückgezogen.

„Ich halte das schon für eine gute Idee!“ Brunner sah, wie der Handyschnösel eine vernickelte 45er auf Jochens Kopf gerichtet hielt. Mit der anderen Hand zog er ein kleines Plastikkärtchen aus der Tasche. „Bruhns. Mordkommission“, sagte er zu Brunner. „Im Urlaub zwar, aber allzeit bereit.“

„Jochen, du verdammtes …“

„Das bringt uns nicht weiter!“ schnitt Bruhns Brunners angehenden Wutausbruch ab. „Gehen wir und öffnen die Tür.“

Brunner schluckte seinen Ärger hinunter, nahm Jochen die Waffe ab und sie gingen zu der Tür im Tiefparterre.

„Warum haben Sie vorhin bloß nicht die Polizei gerufen?“ wandte sich Brunner an Mr. Handy. „Dann würde da draußen jetzt schon Verstärkung auf uns warten.“

Bruhns interessierte sich anscheinend nicht für Brunners Vorwürfe. Er machte einen schnellen Schritt zur Seite und zog Jochen mit, als Brunner verärgert den ersten entriegelten Glasflügel aufzog. Es gab einen hektischen Andrang vor der Tür. Eine dunkelgrün gekleidete Gestalt schubste Brunner zur Seite und eine halbe Hundertschaft vermummter SEK-Beamter stürmte in tief gebückter Haltung ins Kaufhaus. Auf ein Zeichen des Schnösels ließ der Maskierte Brunner los.

„Was glauben Sie denn, mit wem ich da vorhin telefoniert habe?“

„Anscheinend doch nicht mit Ihrer Frau.“

„Ganz bestimmt nicht. Aber was hätten die wohl gemacht, wenn sie mitgekriegt hätten, dass ich mit den Kollegen telefoniere?“

„Wenn Sie mir das gleich gesagt hätten, dann …“

„Dann was? Und woher sollte ich wissen, dass Sie zu den guten Weihnachtsmännern zählen?“

*

Es war jetzt eine ganze Zeit lang ruhig geblieben. Zu ruhig für Willards Geschmack. Er befürchtete, dass sich auf der Gegenseite etwas Unheilvolles zusammenbraute. Wie auf Kommando zeichnete sich die Katastrophe in Form eines Lastenaufzugs ab. Der befand sich nämlich unmittelbar hinter Willard und Maggis Deckung und die Leuchtanzeige verriet, dass sich dort jeden Moment die Türen öffnen und vermutlich eine Horde schwerbewaffneter Weihnachtsmänner über sie herfallen würde.

„Tissi!“ rief Willard. „Der Aufzug! Achte auf den Aufzug!“

Sie hatte verstanden und richtete ihre Pistole auf die Fahrstuhltür.

Die Totenstille um ihn herum irritierte Willard. Warum forderte die Gegenseite sie nicht auf, sich zu ergeben? Sie wollten sie umbringen, das war für Willard in diesem Moment sicher.

Die Türen gingen auf. Und tatsächlich befanden sich darin an die 20 schwer bepackte Weihnachtsmänner.

Die Hinteren liefen auf ihre Vordermänner auf, weil die wie angewurzelt stehen blieben. Vorne brauchten sie anscheinend etwas Zeit, um die Situation richtig einzuschätzen. Direkt vor ihnen lagen drei Weihnachtsmänner am Boden und hatten die Waffen auf sie gerichtet. Damit hatten sie wohl nicht gerechnet. Sie waren wahrscheinlich falsch instruiert worden.

„Volle Deckung“, rief einer in der ersten Reihe plötzlich und die anderen gingen zu Boden. Einige zogen ihre Waffen, aber die meisten blieben einfach reglos liegen. Dass wieder geschossen wurde, merkte Willard erst, als ihm erneut der Putz um die Ohren spritzte und sich der Bart eines Weihnachtsmannes der direkt vor ihm lag, rot verfärbte. Der Kerl war tot. Doch die Gangster schossen nicht auf Willard und Maggi. Auch nicht auf Tissi. Und die beiden schossen auch nicht auf die Weihnachtsmänner.

„Zurück!“ Eine Handvoll Weihnachtsmänner versuchte, wieder in den Aufzug zu gelangen.

Einer sprang gleich neben Maggi in Deckung.

„Schöne Scheiße! Hier sitzen wir in der Falle. Komm schon, wir ziehen uns besser zurück.“

Maggi schien wenig Verständnis für dieses vertrauliche ‘Du’ zu haben. Schwerfällig und kompliziert winkelt sie ihr Bein an, um dann Klaus 29 einen kräftigen Tritt in die Seite zu verpassen.

„Du kannst dich verziehen. Hier ist unsere Deckung.“

Klaus 29 sah Maggi mit großen Augen an, während er aus der Deckung flog. Er erkannte seinen Irrtum. Er hatte ganz klar im falschen Lager gesessen. Der Mann hob die Waffe und zielte auf Maggi, um seinen Fehler zu korrigieren, doch im gleichen Moment wurde er von Kugeln regelrecht durchsiebt.

Hinter Willard schlossen sich die Fahrstuhltüren wieder. Von den eingangs gut 20 Gegnern mochten noch vier oder fünf übrig sein, die sich in die oberen Stockwerke zurückzogen.

„Was war das denn?“ fragte Maggi.

„Die scheinen da ein Kommunikationsproblem zu haben.“

„Wer hat denn jetzt auf wen geschossen?“

„Irgendwie haben die sich gegenseitig über den Haufen geballert?! Ich verstehe das auch nicht.“

„Hallo, ist von euch da drüben noch jemand übrig?“ rief Maggi nun.

Keine Antwort.

„Ich glaub, die sind alle tot?“

„Kommen Sie mit erhobenen Händen raus!“ forderte eine Stimme von drüben.

„Noch nicht“, sagte Willard.

„Wir haben’s schon mal gesagt“, rief Maggi zurück. „Wenn ihr was wollt, dann kommt doch her und holt uns.“

„Verdammt!“

„Was ist?“ fragte Maggi entgeistert.

„Der Fahrstuhl! Sie kommen wieder runter. Noch einmal machen die den gleichen Fehler nicht!“

Willard sah rüber zu Tissi. Sie hatte den Fahrstuhl bemerkt.

Wieder öffneten sich die Türen. Diesmal nur mit einem Weihnachtsmann darin und das war Brunner. Hinter ihm stand eine Handvoll Vermummter mit Gewehren im Anschlag.

„Ich bin’s! Brunner. Nicht schießen!“

„Geh in Deckung, Brunner. Die anderen schießen gleich! Die sind direkt hinter uns!“ rief Willard.

„Es ist vorbei!“ rief Brunner.

„Hier ist die Polizei. Legen Sie die Waffen weg und kommen Sie mit erhob…“

„Hören Sie schon auf!“ rief Brunner und die Maskierten kamen aus dem Aufzug auf sie zu. „Hier ist alles in Ordnung.“

Maggi und Willard legten ihre Waffen weg und standen auf. Willard musste sich dabei auf Maggi stützen. Tatsächlich, auf der anderen Seite befanden sich auch nur vermummte Beamte, von den Weihnachtsmännern keine Spur mehr.
„Schusswunde?“ fragte Brunner und deutete auf Willards Bein.

„Nicht wirklich!“ Willard beschloss, das Thema nicht zu vertiefen.

Von der anderen Seite kam nun auch Tissi zu ihnen herüber. Sie litt an leichtem Schüttelfrost und stand wohl unter Schock. „Sanitäter!“ rief der Beamte in Zivil, der plötzlich neben Brunner aufgetaucht war.

„Ich hab einen erschossen!“ erklärte Tissi dem Polizisten mit zittriger Stimme. „Ist das schlimm?“

Kommissar Bruhns sah sich um. Auf dem Boden lagen etwa 15 tote Weihnachtsmänner. „Wissen Sie noch, welcher es war?“, fragte er mit leicht bissigem Sarkasmus.

Tissi schüttelte den Kopf.

„Na, dann würde ich mir darüber nicht den Kopf zerbrechen.“

„Wir haben sie alle im Sack“, verkündete Brunner stolz und klopfte Willard anerkennend auf die Schulter. „Ach, beim Thema Sack, fällt mir ein …“

Willard war einfach zu fertig, um Brunner dafür zu lynchen, er sah ihn nur genervt an.

„Vergessen wir die Sache. Auf einen Sack mehr oder weniger kommt es beim durchzählen des Diebesgutes jetzt auch nicht mehr an. Ein frohes Fest wünsch’ ich und Grüße an die Gattin und Kinder!“

Invasion der Weihnachtsmänner (28) - © Copyright bei Ingolf Behrens, Hamburg, 1996. Alle Rechte vorbehalten.