Die Gelsenkirchener Bestie

Kurzkrimi

1


Es war schon ein besonderer Tag heute. Nicht, dass Erika nicht immer grossen Wert auf ihr Erscheinungsbild legte, aber heute musste es perfekt sein. Sie stopfte die kleinen Wülste, die rechts und links aus dem BH quollen sorgsam zurück, aber jede Korrektur auf der einen Seite sorgte für ein Verrutschen auf der anderen Seite. Keinesfalls würde sie sich ein Korselett größer als Körbchengrösse D kaufen. Es konnte nicht sein, dass sie in ihrem Alter noch gewachsen war.
Manche Leute behaupteten, dass man weniger essen sollte, wenn man sein Gewicht reduzieren wolle. Das fand Erika völligen Quatsch. Das Gewicht hatte sie von ihrer Mutter geerbt und essen tat sie gar nicht soviel. Sie aß ganz normal und das war ja wohl gesund.

Im Spiegel prüfte sie ihre Frisur. Die saß perfekt. Schließlich hatte sie auch eine halbe Flasche Haarspray dafür vergeudet. Die Lippen würde sie hellrot machen. Knallig. Ihr Mund sollte seinen Blick von dem Rest von ihr ablenken. Und schwarz würde sie heute auch nicht tragen. Ihr Mann war seit drei Monaten unter der Erde, da wurde es Zeit, sich wieder dem Leben zuzuwenden.

Eine leuchtend weiße Bluse, schwarzer Rock, aber keine schwarzen Strümpfe. Und dann der Lippenstift. Sie wußte, wie sehr Männer auf den Mund achteten.

Gut. So konnte sie gehen. Mit ihren 158 war sie eher klein und, wie man so sagte, drall. Aber das war noch nie ein Problem gewesen. Hans, Gott hab ihn selig, hatte sie immer als griffig bezeichnet. Und mit den Haaren und diesem knallroten Mund, würde eh keiner die kleinen Speckröllchen beachten, die gut versteckt unter der weiten Bluse lauerten.

*

Erika mochte es adrett und wenn sie auf die Strasse trat und die Haustür hinter sich schloss, dann dachte sie jedes Mal daran, sich einen Schwamm und einen Eimer zu holen, um diese furchtbare Hauswand abzuschrubben. Dieses schrecklich deprimierende Schwarz, das überall den Hausputz erobert hatte, ärgerte sie. Aber so war das halt in Gelsenkirchen. Das lag die Kohle tonnenweise in der Luft.

Was das Ruhrgebiet an Kohle zuviel, hatte es so kurz nach dem Krieg an Männern zu wenig. Da wunderte es Erika nicht, dass die Röcke auf den Strassen immer kürzer wurden und die Beine immer länger.

Die jungen Mädchen kleideten sich wie Huren und Erika war froh, dass sie in ihrem Alter das nicht mehr nötig hatte. Fast eine Handbreit über dem Knie endeten die Röcke jetzt. Da konnte man sich ja gleich ein Preisschild zwischen die Beine hängen, das dann jeder beim Sitzen lesen konnte.

Auch früher hätte Erika bei so etwas nicht mitgemacht. Obwohl? Der Krieg hatte vieles verändert. Auch für Erika. In Zeiten der Not tat man vieles, was man unter anderen Umständen … Trotzdem. Diese Flittchen hatten es doch eigentlich gar nicht nötig. Junge Männer waren doch ausreichend vorhanden. Knapp wurde es vor allem in Erikas Alter.

Erika schüttelte den Kopf und bestieg die Strassenbahn. Ihre Freundin Erna wohnte in Bochum und dort hatte sie Max bei einem Vertriebenentreffen kennengelernt. Max war Spätheimkehrer und stammte aus Danzig. Er war seit 3 Monaten im Ruhrgebiet und hatte eine Stelle beim Finanzamt bekommen. Da dachte Erna natürlich gleich an ihre Freundin Erika. Die war ja nun allein und ein Beamter war da eine gute Partie.

*

Max war ein hagerer, schlaksiger Mann mit hellblauen Augen und aschgrauem Haar. Wie die meisten Männer, die in Gefangenschaft in Russland waren, sprach Max nicht viel. Sein Blick war ruhig und eindringlich und seine Gesichtszüge verrieten absolut nicht, was er vielleicht dachte.

Womöglich dachte er auch gar nichts. Viele Männer, die so spät aus dem Krieg kamen, wirkten irgendwie leer, fast schon stumpf. Erika fand das nicht schlimm. Im Gegenteil. Was sollte so ein Mann auch viel reden? Da kam in der Regel doch nur Unsinn bei raus.

„Im Finanzamt sind Sie?“ fragte Erika und löffelte sorgfältig den Biskuitboden des Erdbeerkuchens von ihrem Teller.

„Ja“, antwortete Max einsilbig.

„Da haben Sie aber Glück gehabt, so schnell eine Anstellung zu finden!“

„Ja, schon. Mein Herr Oberst Graumann ist dort Abteilungsleiter.“

„Verstehe“, sagte Erika und bat die Bedienung, ihr vielleicht doch noch ein Eclair zu bringen. Die sahen wirklich zu verführerisch aus.

„Und Verwandtschaft haben Sie keine hier?“

Max nippte von seinem Kaffee, sein Stück Erdbeerkuchen, stand noch unberührt vor ihm und er schüttelte leicht den Kopf.

„Seine Angehörigen sind bei der Flucht in den Westen umgekommen“, erklärte Erna. „Der arme Max hatte nur noch eine Schwester hier in Bochum, aber die ist voriges Jahr an Gelbsucht gestorben. Traurig nicht?“

Obwohl sie den Mund voll hatte, nickte Erika. Das waren Schicksale so nach dem Krieg.

„Ich selbst habe vor kurzem meinen Mann verloren. Herzschlag. Von einem Moment auf den anderen. Es ist ein Kreuz mit dem Tod“, sinnierte Erika mit halb vollem Mund.

Max starrte in die Ferne. Er hatte wirklich schöne Augen. „Es ist nicht immer schön allein zu sein“, stellte er dann leise fest.

„Oh, Sie sind nicht allein. Wenn Sie wollen können Sie mich ja jederzeit einmal in Gelsenkirchen besuchen. Zum Kaffee, ja?!“

Es huschte so etwas, wie ein Lächeln über Max Gesicht hinweg.

„Im Ernst. … Erna kann Ihnen meine Adresse geben. Sie sind jederzeit willkommen.“

Max schien im Umgang mit Frauen nicht, oder nicht mehr, sonderlich geübt zu sein. Er sollte jetzt wirklich etwas sagen. Schließlich war das ja wohl ein deutliches Signal, dass sie mit ihm allein sein wollte.

„Mögen Sie Ihren Erdbeerkuchen nicht?“ unterbrach Erika das unangebrachte Schweigen.

Ohne Worte schob Max das Stück Kuchen über den Tisch. „Morgen, 16 Uhr? Da habe ich Dienstschluss.“

„Gern!“ sagte Erika und gab ihm ihren leeren Teller zurück.

„Ich bringe den Kuchen mit“, fügte Max beinahe redselig dazu.

Erika grinste breit. Sie wußte genau, was Männer wollten und ihren roten Lippen konnte keiner so schnell widerstehen.

„Also dann. Ich liebe übrigens Erdbeerkuchen“, sagte sie und zerquetschte eines der roten Früchtchen mit ihren feuerroten Lippen.


2


Natürlich war Max pünktlich. Beinahe auf die Minute.

„Kommen Sie herein.“

Erika nahm ihm die Blumen ab und schaute sich im Treppenhaus um. Sie musste auf ihren Ruf achten. Selbst um diese Uhrzeit konnte ein Herrenbesuch zu Gerede führen. Vor allem die Lehmann von unten war ein echtes Plappermaul.
„Setzen Sie sich doch, da aufs Sofa. Ich stelle nur eben die Blumen ins Wasser.“

Margeriten. Wie einfallsreich. Max hatte wohl nicht gerade die Spendierhosen an. War aber vielleicht auch besser so.

„Kaffee oder Tee?“ fragte sie aus der Küche, wo sie die Blumen recht weit anschnitt, weil sie keine so hohe Vase mehr frei hatte.

„Tee, wenn es geht!“

Max sass kerzengerade auf dem roten Plüschsofa und hatte die Hände unsicher auf seinem Schoß liegen. Sein Blick war auf den leeren Teller gesenkt. Der Mann hatte wirklich keinerlei Erfahrung mit Frauen.

Gekonnt schenkte Erika den Tee ein, der sich goldgelb in die Porzellantasse ergoss, ohne dabei auch nur einen Tropfen zu verschütten.

„Zucker? Sahne?“

„Ein Stück Zucker vielleicht.“

„Ach was, ich hole noch Sahne. Die brauchen wir ja ja auch zu dem Kuchen.“

Als Erika mit der Sahne zurückkam, hatte Max das Einwickelpapier von dem Kuchenpaket genommen und sorgfältig gefaltet auf den Tisch gelegt. Rechte Winkel, gerade Kanten, wie mit dem Lineal gezogen.

An den Erdbeerkuchen hatte er sich erinnert, aber es waren auch noch vier verschiedene Stückchen Sahnetorte dabei.

„Ich wußte nicht genau …?“

„Das ist schon gut so“, beruhigte ihn Erika, die sich ernsthaft allerdings fragte, wer das alles aufessen sollte, wenn er wieder so zuschlug, wie gestern in dem Café.

Sie füllte ihm ein Stück Erdbeerkuchen auf und bestand darauf, dass er zumindest einen Klecks Sahne bekam. Er hatte ein bisschen Sahne dringend nötig.

Seine Hände zitterten ein wenig, als er den Kuchen mit der Gabel zerteilte. Dann fiel Erika auf, dass er seinen Zeigefinger wohl nicht richtig krümmen könnte.

„Ist das aus der Gefangenschaft?“, fragte sie und zeigte mit der Kuchengabel auf seine Hand.

„Erfroren“, antwortete er einsilbig.

„Ist doch sehr kalt in Sibirien“, stellte sie fest voller Mitgefühl fest und schob sich noch eine besonders dicke Erdbeere in den Mund. „Wie lange waren Sie in Russland?“

Max schwieg. Erika wusste, dass die Heimkehrer nicht gern vom Krieg erzählten. Aber sie wusste auch, dass man sie dazu bringen musste, wenn man sie für sich gewinnen wollte.

„Wie kann man da bloss solange überleben?“ bohrte sie also weiter.

„Ich habe daran keine Erinnerung mehr. Müssen wohl über 25 Jahre gewesen sein“, sagte Max dann doch und stellte den Teller mit dem halben Stück Kuchen ab.

„Wie alt waren Sie denn bei Kriegsende?“

„19.“

„Dann haben Sie ja mehr als ihr halbes Leben in Gefangenschaft verbracht“, stellte Erika fest. „Hat man Sie dafür wenigstens entschädigt?“

Max nickte. Er hatte eine Entschädigung bekommen. Viel war es nicht, aber genug, um sich eine neue Existenz aufzubauen.

„Ich weiß noch nicht, was ich mit dem Geld tun soll. Ich habe Arbeit und eine Wohnung, eigentlich alles, was ich brauche …“

„Außer …!“ Erika stellte ihren Teller ab und beugte sich leicht zu ihm hinüber. „Einer Frau nicht wahr?“ hauchte sie.

Der Kriegsheimkehrer nickte kaum merklich und sah ihr dabei nicht in die Augen.

„Da müssen Sie sich nicht für schämen“, beteuerte Erika und ihre linke Hand glitt wie zufällig auf seinen Oberschenkel.

Max zuckte nicht weg, sah sie aber mit traurigen Augen an. Er hatte halt nicht viel Erfahrung mit Frauen. Woher auch?

Erikas Hand glitt weiter und betastete vorsichtig die kleine Beule in seiner Hose.

„Wir brauchen doch alle ein wenig Zuneigung“, flüsterte sie und verstärkte plötzlich ihren Griff um das, was sie als seine Männlichkeit identifiziert hatte.

Von Max kam kein Laut der Erregung. Auch keinerlei andere Reaktion. Er saß einfach nur stumm da und starrte Erika an, die sich daran machte, ihm den Hosenstall zu öffnen.

„Verkehr vor der Ehe kommt für mich natürlich nicht in Frage“, erklärte sie, während sie sein halbsteifes Ding von dem Feinripp befreite. „Aber …!“

Weiter sagte sie nichts. Sie hatte schon Größere gesehen, schon Steifere, schon Dickere und auch schon Krummere. Das hier war ein ganz normales Männerding. Durchschnittlich und er kam auch nicht an ihr Zäpfchen, wenn sie ihn ganz in ihrem Mund verschwinden ließ.

Noch immer zeigte Max keinerlei Reaktion. Vielleicht war er vom Krieg desensibilisiert oder litt an weiteren Erfrierungen. Nein. Er wuchs mit Erikas Bemühungen und sie war sicher, dass sie ihn an den Eiern hatte.

Irgendwie wartete sie darauf, dass er ihr seine Hand auf den Kopf legte und Anstalten macht zum Höhepunkt zu kommen. Doch seine Hand kam nicht, dafür ergoss sich eine reichliche Ejakulation in ihrem Mund.

Erika grunzte zufrieden. Sie beugte sich wieder zurück, wischte sich den Mundwinkel ab, aber das war nur ein Rest Sahne vom Erdbeerkuchen gewesen und sah Max eindringlich an. Max hielt ihrem Blick stand, wenngleich er noch immer ein wenig traurig wirkte.

Nun war sie aber schon ein wenig hungrig geworden und füllte sich guten Gewissens noch zwei Stück Sahnetorte auf ihren Teller.

„Möchten Sie auch noch …“ Erika deutete auf das Papptablett mit dem Kuchen. Max schüttelte langsam den Kopf. Bisher hatte auch noch keinerlei Anstalten gemacht, seine Dinge wieder zu ordnen. Sein Glied hing immer noch redlich erschlafft aus dem Eingriff der Feinrippwäsche.

„Vielleichte sollten sie dann …!“ Erika wedelte mit der Kuchengabel in Richtung Hosenschlitz herum.

„Aber ja.“

Ungelenk packte sich Max wieder ein. Dann nahm er einen Schluck von dem kalten Tee.

„Normalerweise, mache ich so etwas nicht …“ erklärte Erika mit den Backen voller Backwerk.

„Nein, natürlich nicht.“

„Es ist nur, weil …“

„Ich verstehe schon!“ versicherte Max sofort.

Viele Worte waren ja auch nicht nötig, Erika schmeckte ja sein Eheversprechen noch auf ihrer Zunge.

„Ich gehe dann jetzt wohl besser.“

Wenn es nach Erika gegangen wäre, hätte er ruhig noch bleiben können. Aber vermutlich brauchte er Ruhe, um sich über die Konsequenzen der Geschehnisse im Klaren zu werden.

Erika brachte ihn zur Tür. Die Verabschiedung war förmlich und sie bot ihm an, doch recht bald wieder vorbei zu schauen.

Als sie die Tür hinter Max schloss, war sie sicher, dass Max nicht der Typ Mann war, der sich vor seiner Verantwortung drückte. Der würde wiederkommen. Ganz sicher.


3


Sie hatte sich nicht getäuscht in Max. Schon am nächsten Wochenende stand er mit einem Ring in ihrem Wohnzimmer und machte ihr einen Antrag.

Mit ihren knallroten Lippen gab Erika ihm das Ja-Wort.

Ihre fünfte Ehe begann ohne viel Trara, ganz so wie die davor geendet hatte, einfach mit einer Unterschrift. Zumindest aber ging es diesmal in die Flitterwochen an den Tegernsee.

Erika war glücklich. Max erwies sich als ruhiger, bescheidener Gatte, mit einer schönen Abfindung auf dem Sparbuch und einer soliden Pension in Aussicht. Natürlich war Max zu ihr gezogen, schließlich gehörte ihr das kleine Mietshaus, das ihr vorheriger Gatte nach dem Krieg gebaut hatte.

Eigentlich war sie auch nicht sonderlich betrübt, dass Max seine neu erworbenen, ehelichen Rechte offenbar so gar nicht ausüben wollte, bestenfalls ließ er sich einmal die Woche auf ihre Lippenbekenntnisse ein, aber ein wenig stören tat sie das nach ein paar Wochen doch. Wenn er nie Hand an sie legte und er war auch sonst gegen jeden körperlichen Kontakt, dann konnte mit ihm doch eigentlich etwas nicht stimmen.

Max deutete lediglich an, dass der Krieg seine Einstellung zu körperlichen Bedürfnissen stark verändert hätte. Er erzählte auch von seiner Schwester, die sich nach dem Krieg für eine Handvoll Nylons mit den Besatzern eingelassen und sich dabei eine Gelbsucht eingefangen hatte. Der Tod seiner Schwester schien Max am schwersten getroffen zu haben, wohl weil sie seine letzte Verwandte gewesen war und die einzige ausser ihm, die den Krieg als solches überlebt hatte.

Viel war aus ihm nicht heraus zu kriegen. Er war ein ruhiger und angenehmer Mitbewohner. Vielleicht der einfachste ihrer 5 Ehemänner.

Morgens verliess Max pünktlich um 7 Uhr 30 das Haus und erschien ebenso pünktlich wieder zum Essen. Seine absolute Lieblingsspeise war Schokoladenpudding mit Vanillesauce.

Manchmal sprachen sie beim Essen ein wenig miteinander, ansonsten las er Zeitung oder Groschenhefte. Er hatte einen echten Faible für Groschenromane, vor allem Krimis und diesen Sciencefiction-Kram.

Ein gemeinsames Schlafzimmer kam für Max von Anfang an nicht in Betracht. Das war etwas, woran sich Erika nur schwer gewöhnen konnte. Nicht, dass sie besonderen Wert auf eine Schnarchnase direkt neben ihr im Bett gelegt hätte, aber sie war doch von ihren bisherigen Ehemännern etwas anderes gewohnt.

So hatte das mit Max eher den Charakter einer Freundschaft, als einer Ehe.

„Hast du gelesen, dass die Bestie von Gelsenkirchen wieder zugeschlagen hat?“ fragte sie Max, während sie den Tisch abräumte.

Max sah kurz von der Zeitung auf.

„Bestie“, knurrte er verächtlich. „So was können nur die Schmierfinken der Presse erfinden.“

„Aber die armen Frauen …“, warf Erika ein.

In den letzten drei Monaten waren drei Prostituierte tot in ihrem Bett aufgefunden worden. Alle mit einem Nylonstrumpf erwürgt. Ansonsten hatte man keine Informationen. Aber da die Drei alle auf dieselbe Art umgebracht worden waren, ging die Polizei vernünftigerweise von einem Serientäter aus.

„Die armen Frauen?“ fragte Max verächtlich. „Das waren Prostituierte.“

„Das ist doch kein Grund sie umzubringen“, stellte Erika verärgert fest.

„Im Krieg wurden Leute wegen ganz anderer Gründe umgebracht.“

Max versenkte seinen Blick wieder in die Zeitung. Das Gespräch war eh schon länger gewesen, als die meisten, die Erika mit ihm geführt hatte. Sie verließ das Wohnzimmer, um sich um den Abwasch zu kümmern.

Was Sex anging hatte Max schon seltsame Ansichten. Andererseits hatte er ja Recht. Wer sein Geld auf so einfache Art verdienen wollte, ging wohl immer ein Risiko ein.


4


Nur einmal im Monat kam Max nicht so früh wie sonst nach Hause. Einmal im Monat traf er sich abends mit anderen Spätheimkehrern. Sie sprachen wohl über ihre Erlebnisse und so was … Jedenfalls war es für Erika tabu, darüber Fragen zu stellen.

Sie war nicht böse darum und wartete an diesen Abenden vor ihrem neu erworbenen Fernsehgerät. Sie mochte diese Krimis, die dort spät abends gesendet wurden. Haarsträubende Geschichten von Adeligen, Affären und mörderischen Herren Doktoren.

Heute blieb Max länger weg als gewöhnlich. Erst kurz vor Sendeschluss hörte Erika, wie ein Schlüssel in der Wohnungstür gedreht wurde.

Sein glasiger Blick und sein unsicherer Gang verrieten ihr, dass Max getrunken hatte. Das war neu. Bisher hatte er niemals Alkohol angerührt.

„Tut mir leid“, lallte er und stützte sich an der Garderobe ab, um seine Schuhe abzustreifen.

Gott hab ihn selig, aber Walter, ihr dritter Mann war dem Trunke äußerst zugetan gewesen. Sie wusste also, was zu tun war. Erika half ihm aus dem Mantel, hakte ihn unter und brachte ihn in sein Zimmer.

Obwohl er protestierte, zog sie ihn aus, schob ihn sanft ins Bett und deckte ihn zu.

„Tut mir wirklich leid“, nuschelte er noch einmal und schloss die Augen.

„Ja klar“, seufzte Erika und hoffte, dass dies jetzt nicht zur Gewohnheit würde.

Sie legte seine Sachen auf dem Stuhl neben seinem Bett zusammen, damit er sie am Morgen wieder ordentlich vorfände.

In seiner Hosentasche war noch etwas. Wohl ein Taschentuch. Das konnte sicherlich gut mal gewaschen werden. Erika hasste es, wenn Leute sich benutzte Taschentücher in die Hosentasche stopften. Was dachten die denn, was die da taten, ausser Bazillen zu verteilen?

Erstaunt stellte sie fest, dass es kein Taschentuch war, was sie da aus der Hosentasche fingerte. Es war ein Damenstrumpf. Beige. Größe I.

Das war nicht ihrer. Sie hatte Größe III. Warum hatte ihr Mann einen viel zu kleinen Damenstrumpf in seiner Hosentasche?

Das war nicht gut. Erika witterte, dass es da eine andere Frau geben könnte. Nutzte er sein Veteranentreffen als Vorwand, um fremd zu gehen?

Sie stopfte den Strumpf wieder in die Tasche. Erika wollte nicht, dass er wusste, dass sie wusste … was auch immer es war.

Im Wohnzimmer setzte sie sich verwirrt vor die Flimmerkiste mit dem Testbild. Sie sollte das Gerät jetzt ausschalten, aber sie war zu sehr mit ihren Gedanken beschäftigt.

Vielleicht hatten sie doch etwas vorschnell geheiratet. Wenn er eine andere Frau gefunden hatte, eine die ihm besser gefiel und er sich scheiden liesse, verlöre sie den vollen Pensionsanspruch und einen Teil der Abfindung, mit der sie bereits fest gerechnet hatte.

Scheidung war nicht gut, dachte sie sich und holte sich einen Mandellikör aus dem barocken Eckschränkchen.

Der Fernseher flimmerte weiter und in Erika wuchs die Gewissheit, dass eine Trennung unvermeidbar wäre.

All ihre Ehen hatten bisher wenig Bestand gehabt. Kaum eine war länger als 4 Jahre gegangen. Sie war es also gewohnt, dass man sich früher oder später voneinander trennen musste. Und wenn es soweit war, gab es keinen vernünftigen Grund, die Sache unnötig hinaus zu zögern.

Erika beschloss, sich gleich am nächsten Tag um diese Angelegenheit zu kümmern.


5


An diesem Morgen hatte Max Schwierigkeiten gehabt pünktlich zur Arbeit zu gehen. Er hatte wohl einen ordentlichen Kater.

Heute Abend, wenn er heimkommt, wird er all seine Lieblingsspeisen auf dem Tisch finden. Er wird angenehm überrascht sein, da war sich Erika sicher.

Aus dem Keller hatte sie ihre besondere Zutat geholt. Ein kleiner, angerosteter Kanister Parathion. Das hatte sie nach dem Krieg von einem GI als Pflanzenschutzmittel für ihren Schrebergarten bekommen.

Irgendwann hatte sie nicht achtgegeben und dieser schreckliche Dackel des Nachbarn hatte an dem Kanister geleckt. Weit war er anschließend nicht gekommen.

Das hatte sie damals auf die Idee gebracht, das Mittel doch einmal im Kompott für ihren zweiten Gatten Wilhelm auszuprobieren. Wilhelm war ein notorischer Faulpelz ohne echte Ambitionen gewesen. Wenn es nach ihm gegangen wäre, müsste sich Erika noch heute aus ihrem Schrebergarten ernähren.

Es war trotz sehr hoher Dosierung doch ein elend langer Kampf gewesen, bis Wilhelm endlich hinüber war. Sie hatte gut anderthalb Stunden vor dem Sofa gesessen, auf dem er sich mit schmerzhaften Krämpfen gewunden hatte. Manchmal hatte er versucht aufzustehen, aber Erika hatte ihn wortlos zurück aufs Sofa gedrückt. Bis dann endlich das Herz aussetzte.

Auch mit noch höheren Dosierungen ging es nur wenig schneller. Erika hatte sich damit abgefunden, dass so eine Trennung halt etwas Zeit brauchte.

Im Pudding wollte sie das Gift untermischen. Sie war schließlich kein Unmensch und er sollte wenigstens noch das Essen genießen können. Ausserdem war sie sicher, dass er den Pudding restlos aufäße.

*

Nachdem sie alles vorbereitet hatte, sortierte sie in ihrem Kleiderschrank schon mal die schwarze Wäsche wieder ein. Die würde sie wohl bald brauchen. Vielleicht war es passend, schon heute schwarz zu tragen, schließlich war die Sache bereits entschieden.

Erika griff zu einem schwarzen Strumpfhalter und legte ihn an. Zumindest die Unterwäsche sollte an so einem Tag schon schwarz sein.

Er war noch gut 30 Minuten hin, bis Max nach Hause käme. Das Essen war fertig und Erika blätterte lustlos in der Zeitung.

Sie lachte laut auf, als sie die Schlagzeile las.

„4. Opfer der Bestie von Gelsenkirchen!“

Wenn es nur danach ging, läge sie heute Abend mit einem Punkt vorn. Wenn überhaupt, gebührte ihr der Titel „Gelsenkirchener Bestie“.

Die Zeit verging langsam und Erika war ungeduldig. Auf einmal erschien ihr der Gedanke, sich von einem Mann zu trennen, mit dem sie noch nicht einmal richtig die Ehe vollzogen hatte, irgendwie als falsch. Wenigstens einmal musste sie mit ihm Verkehr haben, sonst zählte die Ehe nicht wirklich.

Erika stand auf und ging in ihr Schlafzimmer. Schwarze Wäsche trug sie schon, nun kramte sie noch ein schwarzes Negligé hervor. Zusammen mit den Pantoletten wirkte das recht reizvoll. Es sollte wohl genügen, um Max zu verführen.

*

Als ihr Gatte endlich nach Hause kam, stand Erika im Negligé am Herd sah nach dem Braten. Max blieb irritiert in der Tür zum Essbereich stehen.

„Ich haben einen Damenstrumpf in deiner Hosentasche gefunden!“ eröffnete sie ihm ohne Umschweife. „Vermutlich hast du eine Andere, ja?!“

„Was? Nein!“ beteuerte er sofort.

Wütend begann Erika den Tisch zu decken.

„Wenn du keine Andere hast, dann beweis es mir“, forderte sie. „Siehst du ich habe sogar deinen Lieblingspudding für dich gemacht, obwohl ich diesen Damenstrumpf gefunden habe.“

„Ich schwöre, da ist keine andere Frau!“ versicherte Max und schaute wie ein angeschossener Dackel drein.

„Beweis es! Dass du mich liebst!“

„Wie kann ich das beweisen?“ fragte er und zog ratsuchend seine Schultern hoch.

„Vollzieh endlich die Ehe mit mir. Jetzt gleich, noch vor dem Essen!“

„Die Ehe vollziehen?“

„Ja, das machst du doch mit dieser anderen Hure auch, oder?“

Sein Schweigen beunruhigte Erika. Also doch, dachte Erika. Es gab eine andere und er trieb es mit ihr.

„Was jetzt?!“ fauchte sie ihn an. „Willst du mich verlassen?“

„Nein, Herr Gott, nein!“

Man hätte ihm die Not abnehmen können, so zerknirscht wirkte er.

„Also!“ rief sie wütend. „Ich habe dir trotz allem dein Lieblingsessen gemacht. Das mit der anderen verzeihe ich dir und ich mache es dir leicht.

Sie zog ihr Negligé hoch und beugte sich vor über den Küchentisch. Ihr nicht gerade zierlicher Hintern prangte ihm aus dem schwarzen Tüll entgegen.

„Worauf wartest du, zeig mir, dass ich deine Frau bin!“

Erikas Tonfall war derart zickig, dass Max wie unter der Knute zusammenzuckte.

„Ich glaube wirklich nicht, dass du das willst!“ versuchte er sich rauszureden.

Aber Erika ließ nicht locker. „Bin ich dir zu dick?“

Max schüttelte den Kopf.

„Was dann?“

„Nichts“, resignierte Max. „Aber zieh wenigstens die Strümpfe aus. Ich mag diese Nylons nicht!“

„Wenn es das nur ist“, grunzte Erika und öffnete die Strumpfhalter. Sie streifte sich die schwarzen Nylons ab und legte sie sorgfältig auf den Tisch. Strümpfe waren teuer und ließen sich nur schwer waschen.

„Na gut!“ sagte er und schien nicht sonderlich begeistert und näherte sich seiner Frau, die sich stur wieder in die gebückte Haltung vor dem Tisch begeben hatte.

Nicht, dass ihr das jetzt große Freude bereitet hätte, es handelte sich wohl mehr um eine Machtfrage.

Besonders zartfühlend ging Max nun auch nicht grade zu Werke. Wenigstens musste er sie aber endlich einmal anfassen.

Seine Hände krallten sich in ihre Hinterbacken und schon war er eingedrungen. Während er sonst eher zurückhaltend war, wurden seine Bewegungen nun schnell heftig, schon fast grob.

Vielleicht hätte sie darauf doch verzichten sollen, dachte sich Erika, als er immer wilder auf sie einstieß. Inzwischen hatte er eine Hand auf ihre Schultern gelegt, um sie mit aller Kraft bei jedem Stoß an sich heranzuziehen.

So langsam wurde es schmerzhaft und es bildeten sich Schweißperlen auf Erikas Stirn. Sie hätte dem ja gern ein Ende bereitet, aber als er seine zweite Hand auf ihrer Schulter legte, spürte sie ein eigenartiges Verlangen, dass er nicht aufhören sollte, in ihrem Unterleib aufstiegen. Verwundert stellte sie fest, dass ihr ein Stöhnlaut entfahren war. Eine Sekunde dachte sie sogar daran, ihm den Pudding wieder wegzunehmen. Vorausgesetzt er würde sich regelmässig zu solcher Demonstration seiner Zuneigung hinreißen lassen.

Doch dann sah sie den Strumpf in seiner Hand auf ihrer Schulter.

Er war ihr bis eben gar nicht aufgefallen. Sie war viel zu beschäftigt gewesen. Nun sah sie aber, wie seine andere Hand nach dem freien Strumpfende griff. Und eher sie richtig begriff, was das sollte, zog sich die Schlinge zu.

Sie hatte von solchen Liebesspielen mit Würgen und so gehört. Aber das hier war keins. Das wurde ihr noch klar, bevor es dunkel wurde. Mit aller Kraft hatte sie versucht sich wehren, sich unter ihm weg zu winden, aber zwecklos. Während sie zuckend ihre letzten Atemzüge machte, zuckte er beim ersten und letzten ehelichen Vollzug mit einer Angetrauten.

*

Plötzlich war Max erleichtert und allein. Seine Frau lag mit bläulichem Gesicht auf den Küchentisch und hatte endlich bekommen, was sie verdiente.

Das Einzige, was Max etwas Sorgen bereitete war, dass dieser Fall hier etwas anders lag als die anderen. Hier musste er die Leiche irgendwie beseitigen. Ein Problem, das er sonst nicht hatte, weil es bei denen keinerlei Verbindung zu ihm gab.

Aber Eile hatte das ja nicht, für dieses Problem hatte er das ganze Wochenende Zeit. Nun hatte er erstmal Hunger. Er setzte sich an seinen Platz, schlug die Zeitung auf, schmunzelte über die Schlagzeile, die wie so viele andere nicht sonderlich aktuell war und liess es sich schmecken.

Zum Schluss löffelte er noch ihren köstlichen Schokoladenpudding bis zum letzten Löffel aus. Kochen konnte sie ja, diese Erika. Aber eine Hure war sie trotzdem.



Die Gelsenkirchener Bestie (131) - © Copyright bei Ingolf Behrens, Hamburg, 2014. Alle Rechte vorbehalten.