Die Stunde des Spanners

Kurzkrimi

Er lag hier gut getarnt unter einer Decke. Das Teleobjektiv auf die Sträucher gerichtet. Man hätte meinen können, er sei ein Tierfotograf, der auf seltene Schnappschüsse eines scheuen Wildtieres lauerte. Uwe war auch auf Jagd nach einem scheuen Wild, aber mit Tierfotografie hatte das nichts zu tun.

Uwe fröstelte leicht. Ob es das alles wirklich wert war, hier in den frühen Morgenstunden auf der Lauer zu liegen? Die meisten Erfolge hatte er gewöhnlich in der Mittagszeit. Uwes Trophäen waren Frauen, die das Gebüsch auf das sein Objektiv scharf gestellt war für eine Pinkelpause nutzten. So hieß auch die Internetseite auf der er seine Schnappschüsse später einstellte: „www.pinkelpause.auto“

Uwe wusste gar nicht mehr, wie er auf diese Idee gekommen war, aber verdiente mit diesen Bildern ganz gut und in den letzten drei Jahren hatte er seine Erfahrungen mit den Raststätten der A7 gemacht. Er wusste inzwischen genau, wo sich Frauen am liebsten erleichterten. An manchen Rastplätzen hatte er sogar ungünstig wachsende Sträucher unauffällig gestutzt, um einen besseren Einblick in die vermeintlich sichtgeschützten Sträucher zu haben. Gewöhnlich lag er gut 200 Meter weit entfernt von der Raststätte leicht erhöht auf der Lauer. Gut getarnt versteht sich. Die Leute achteten zumeist nur darauf, ob man sie vom Rastplatz selbst oder von der Autobahn aus sehen konnte, aber die andere Seite zu den Feldern oder Wäldern beachteten sie wenig.

Die besten Jagderfolge hatte er fünf kleineren Rastplätzen, die kurz hinter den großen Raststätten lagen. An diesen Rastplätzen trieb er sich regelmäßig herum und hatte die Pinkelecken entsprechend präpariert. In manchen Ecken hatte er in günstigen Positionen automatisch arbeitende Videokameras mit Bewegungssensoren positioniert, die er regelmäßig austauschte. Doch das Bildmaterial war meist nicht besonders und es gab wenig verwertbares Material. Das Beste war immer noch das gestochen scharfe Bild vom Wasserfall mit freiem Blick auf die Quelle. Man glaubte ja gar nicht wie gleich sich die Menschen verhielten. Nicht nur, dass fast alle an dieselbe Stelle ging, um zu pinkeln, nein sie hockten sich auch immer fast im gleichen Winkel zu seiner Kamera hin.

Ein Vermögen verdiente er mit den Bildern nicht, aber er konnte gut davon leben. Da! Da kam wieder eine!

Eine dicke Frau quälte sich aus einem grünen Ford Fiesta, den der TÜV wohl schon seit längerem keine ernsthafte Beachtung mehr geschenkt hatte und rannte fast auf Uwes Strauch zu. Perfekt. Sie hatte es eilig, sie war dick, das hieß sie hockte sich nicht besonders tief hin, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren das versprach gute Bilder zu geben.

Die gute Frau hockte sich kaum hin, sie riss die Jogginghose herunter und ein Strahl ergoss sich auf den humusreichen Waldboden, der seinesgleichen suchte. So eilig wie die es hatte, war sie bestimmt die ganze Nacht durchgefahren und hatte sich Thermoskannen weise Kaffee in sich rein geschüttet, der jetzt entkoffeiniert mit aller Macht das Weite suchte. Uwe konnte mit dem Teleobjektiv sogar ein kleines Tattoo auf ihrem Hintern sehen. Es war das Wertstoffzeichen mit den beiden Pfeilen, die umeinander kreisten. Vermutlich hätte es eigentlich ein Jing und Jang-Zeichen werden sollen.

An Toilettenpapier hatte sie wohl nicht gedacht. Sie zog die Jogginghose einfach wieder hoch, nachdem sie ausgestrullt hatte und zündete sich eine Zigarette an. Beim dritten Zug saß sie schon wieder hinterm Steuer ihrer Fiesta-Schaukel, den sie die ganze Zeit hatte laufen lassen und trat das Gaspedal durch. Die hatte es offenbar sehr eilig.

Uwe betrachtete die Schnappschüsse auf dem Monitor der Kamera. Einfach super. Dafür hatte sich das frühe Aufstehen und Frieren schon gelohnt.

*

Uwe hatte Glück, die nächste Kundschaft ließ nicht lange auf sich warten. Das war sein Tag heute. Ein pimpiger, silberner Mercedes hielt an dem Gebüsch. Drinnen saßen zwei Frauen. Das exakte Gegenteil von eben. Gestylt in Hackenschuhen, Solarium bestrahlte schlanke Körper mit langen Beinen und kurzen Röcken. Perfekt. Vielleicht konnte er heute noch ein Double schießen. Frauen gingen zwar gerne zusammen aufs Klo, aber zum Pinkeln ins Gebüsch gingen sie meist allein. In diesem Fall aber hatte Uwe Glück. Die beiden gingen zusammen auf das Gebüsch zu. Uwe Finger schwitzte leicht am Auslöser.

„Los, hockt auch hin“, fluchte Uwe leise, weil die Frauen unschlüssig da standen und das Gebüsch betrachteten. „Hinhocken. Eine etwas weiter links und gut, dann kriege ich euch beide drauf.“

Aber die Frauen hockten sich nicht hin, sondern gingen zum Wagen zurück.

„Dann macht es doch wenigstens einzeln!“ meckerte Uwe, der sich um sein Highlight des Tages betrogen sah.

Aber auch das taten die Frauen nicht. Sie öffneten stattdessen den Kofferraum des Benz und wuchteten etwas offenbar sehr Schweres in einem Plastiksack Verschnürtes heraus. Dann eierten sie auf ihren Pumps über das Stückchen Waldboden und schleiften ihre Last mehr als das sie sie trugen. Anschließend legten sie den blauen Plastiksack an seiner Pinkelstelle ab.

Uwe war sauer. Illegale Müllentsorgung ging uns alle etwas an, aber das hier, den Müll an seiner Futterstelle abladen war ja wohl die Höhe. Er fotografierte zur Sicherheit das Kennzeichen des Wagens und als die beiden Frauen wieder eingestiegen und fort gefahren waren, machte er sich auf nach dem Müllsack zu sehen. Der musste da weg. So würde da heute keine mehr für ihn in die Hocke gehen.

Der Müllsack war bedeutend größer als er von da hinten gewirkt hatte. Uwe riss das Plastik an einer Stelle auf, um zu sehen, um was für einen Müll es sich handelte. Das Blut an seinen Fingern, die Größe des Sackes und seine Form sprachen für eine Leiche. Das war ganz sicher eine Leiche. Eine ganz frische Leiche. Uwe wusste nicht, was er jetzt tun sollte. Die Polizei informieren? Wohl eher nicht. Hier, jedenfalls konnte die Leiche nicht bleiben. Uwe zog an dem verschnürten Plastikbündel und wuchtete es um einiges weiter hinein in das Strauchwerk. So nun war es wenigstens aus dem Bild.

In Gedanken versunken ging er zurück zu seinem Ansitz. Er war nicht mehr wirklich bei der Sache als er die sechzigjährige mit dem massiv gepiercten Genitalbereich fotografierte und er nahm es auch nur beiläufig zur Kenntnis, dass sie fünf Minuten brauchte, um das hängengebliebene Toilettenpapier aus den Piercings zu fummeln. Mechanisch betätigte er den Auslöser und machte eine wirklich schöne Bilderreihe. Gedanklich jedoch war er bei den beiden Mädels im Benz.

*

Es war nicht schwer gewesen den Halter des Benz ausfindig zu machen. Sein Kumpel Jörn war bei der Polizei und Uwe hatte ihn nach dem Halter gefragt, weil der angeblich seinen Porsche beim Einparken gebeult hatte. Aber er wolle das erst mal privat regeln. Schon hatte Jörn ihm den Halter genannt.

Eine wirklich gute Wohngegend war das nicht, wo Uwe gerade an der Tür klingelte. Die Wohnung lag im siebten Stock und das hier war eine Art sozialer Plattenbau.

Die Frau, die die Tür öffnete war eine der beiden von heute früh. Aber sie war auch eine professionelle Liebesdienerin, wie Uwe jetzt auf den ersten Blick erkannte. Sie ließ ihn auch ohne größere Erklärungen eintreten. In der Küche war die andere Frau mit Kaffeetrinken in Ledercorsage und Strapse beschäftigt. Ihr durchsichtiger Morgenmantel ließ keine Frage offen.

„Monique oder Chantalle?“, fragte die Blonde, die ihm die Tür geöffnet hatte.

„Beide!“ antwortete Uwe mit einem breiten Grinsen.

„Wenn wir uns über den Preis einig werden, gerne“, entgegnete Chantalle, das Lederluder neckisch.

„Werden wir!“ behauptete Uwe selbstsicher. „Fürs erste denke ich sind 10.000 angemessen.

Die Frauen sahen sich irritiert an. Sie verstanden nicht ganz, was Uwe wollte. Aber Uwe erklärte es den beiden gerne und ausführlich. Er hatte die Fotos von dem was sie heute Morgen getan hatte. Und diese Fotos wollte er ihnen verkaufen. Es dauerte nicht wirklich lange bis sie begriffen wovon er sprach, aber ihre Reaktion war anders, als er erwartet hatte. Chantalle war im Begriff sich auf ihn zu stürzen und Uwe erkannte, dass das hier nicht ganz ungefährlich war.

Geistesgegenwärtig schnappte er sich das große Küchenmesser, das glücklicherweise auf der Anrichte lag. Damit war es leicht sich Chantalle und Monique vom Leib zu halten. Zumindest so lange bis die Erkenntnis bei ihnen angekommen war, dass sie in seiner Hand waren, weil er die Bilder natürlich nicht dabei hatte.

Beim Anblick des Messers waren die beiden Frauen schlagartig zur Vernunft gekommen. Sie hatten sich angeschaut und waren sich wohl einig, dass sie verloren hatten.

Natürlich war so viel Geld jetzt nicht im Haus. Aber wenn er morgen wiederkäme könnten Sie die zehn Riesen haben.

Uwe war einverstanden. Das war leicht verdientes Geld.

„Morgen Punkt 10 Uhr“, versicherte er sich nochmals und ging. Natürlich nahm er das große Küchenmesser vorsorglich mit, damit die Beiden ihm auf dem Weg zur Tür nicht doch noch unüberlegt in Rücken fallen würden.

*

Am nächsten Morgen war Uwe so richtig gut gelaunt. Heute Abend würde er erst mal ein Fass aufmachen. Ihm war klar, dass da noch mehr für ihn drin sein würde. So was wie Negative gab es ja nicht mehr und er könnte überall eine Kopie der Bilder haben.

Es war Chantalle, die ihm die Tür öffnete.

„Na Mädels, habt ihr Geld für mich?“ trompetete er laut los und ging an Chantalle vorbei ins Wohnzimmer.

„Das glaube ich kaum!“ behauptete eine männliche Stimme. Rechts und links neben der Tür nahm Uwe Beamte in Uniform wahr, die mit gezogener Waffe auf ihn gewartet hatte.

„Ist er das?“ fragte Kommissar Bruhns zur Sicherheit.

Monique nickte und sagte mit tränenreicher Stimme. „Ja, der hat unseren Beschützer umgebracht und wollte seinen Platz einnehmen.“

„Was bitte?“ Uwe hörte wohl nicht richtig.

„Festnehmen“, sagte Bruhns knapp und die Beamten griffen zu. Handschellen klickten noch bevor Uwe sich rechtfertigen konnte, oder Erklärungen abgeben konnte.

„Mit dem Messer hat er in einfach abgestochen“, behauptete Chantalle. Sie zeigte auf das Messer, das Uwe nur der Ordnung halber wieder mitgebracht hatte.

„Und dann mussten wir ihm helfen die Leiche zu beseitigen“, schluchzte Monique.

„Dabei hat er uns dann fotografiert und gesagt, wenn wir nicht mindestens zehn Riesen die Woche für ihn machen, übergibt er die Bilder der Polizei“, fügte Chantalle hinzu.
„Müssen wir jetzt ins Gefängnis?“ fragte Monique mit naiver Unschuld jammernd.

„Das glaube ich aber nicht!“ behauptete Bruhns. „Das war ja keine Beihilfe im eigentlichen Sinne.“

„Das war keine Beihilfe?“ Uwe konnte es nicht fassen, was diese Flittchen, die es offenbar faustdick hinter den Ohren hatten, hier für eine Geschichte auftischten.

„Nun mal Ruhe, das können Sie alles dem Richter erzählen“, brach Bruhns ihn ab. „Abführen!“

*

In der Verhandlung machte es sich nicht gut, dass Uwes Fingerabdrücke die einzigen waren, die auf der Tatwaffe zu finden waren, auch das Blut es Opfers unter seinen Fingernägeln und an der Hose machte sich nicht gut. Noch schlechter wurde es, als man feststellte, dass auch Blut am Auslöser der Kamera zu finden waren, also die Fotos vermutlich vom Täter gemacht wurden. Auch die anderen Fotos die die Polizei bei ihm fand, warfen keinen Sonnenschein auf Uwes Ruf, auch wenn sie Uwes Anwesenheit auf dem Parkplatz zu erklären vermochten konnte man das halt auch ganz anders sehen, nämlich, dass er den Platz für die Ablage der Leiche gewählt hatte, weil er ihn gut kannte.

Alles in allem war für Uwe kein Freispruch zu erwarten und die beiden Zeuginnen seiner Tat hatten vielleicht nicht den besten Leumund, aber auch keinen Grund zu lügen, zumal die Polizei selbst bezeugen konnte, dass Uwe versucht hatte die Position ihres Zuhälters einzunehmen. Da glaubte man lieber der in Tränen ertrinkenden und zur Prostitution gezwungenen, eigentlich aber erzkatholischen Monique. Freispruch für die Damen und einmal lebenslänglich für den Herrn.

Die Stunde des Spanners (81) - © Copyright bei Ingolf Behrens, Hamburg, 2011. Alle Rechte vorbehalten.