Strip a Claus

Nein, so etwas hatte sie noch nie gemacht. Sie wusste auch gar nicht, wie sie überhaupt auf diese Idee gekommen war. Dort anzurufen, war ihr erst ein wenig peinlich gewesen. Sie hatte Fragen erwartet, die sie womöglich nicht hätte beantworten können oder wollen. Aber nichts von alledem war passiert. Eine freundliche Stimme hatte sich gemeldet und gefragt, wie sie ihr helfen kann.

„Ich brauche einen strippenden Nikolaus“, hatte Sonja einfach gesagt.

„Welche Farbe?“

„Ääh, rot!“ hatte sie verwirrt geantwortet.

„Oh, nein, ich meinte, mehr der europäische Typ oder vielleicht was exotisches?“ hatte die Frau lachend nachgehakt.

Auch Sonja hatte lachen müssen. „Nein, nein, nichts exotisches, vielleicht ein Student, wenn es geht sportlich!“

„Wann wäre denn der Termin?“

„Sonntag, erster Advent, so ab 3 etwa! Die arbeiten doch sonntags, oder?“

„Natürlich, aber Sie meinen 15 Uhr, ja?“

„Ja, genau. Das ist für unser Adventstreffen. Wir sind vier ...“

„15 Uhr, hätte ich nur Sven. Das ist aber nur eine Aushilfe, der hat noch nicht ausgelernt. Wäre das ok?“

„Ja, sicher.“

„Keine Sorge, Sven hat bereits einige Erfahrung, aber er ist noch nicht so lange bei uns.“

„In Ordnung“, sagte Sonja zufrieden. Vielleicht war es gar nicht so schlecht, wenn sie alle nicht so viel Erfahrung in dieser Sache.

„Also Sven, 15 Uhr. Die Bezahlung erfolgt in bar an den Nikolaus, falls Sie Sonderwünsche haben, müssen Sie diese mit Sven vorab vereinbaren.“

„Was für Sonderwünsche?“ fragte Sonja irritiert.

„Oh, das weiß ich nicht, das geht uns auch gar nichts an. Wir vermitteln hier nur studentische Aushilfen, was Sie für Dienstleistungen mit den Studenten vereinbaren ist ausschließlich Ihre Sache.“

„Der soll einfach nur strippen!“ erklärte Sonja verwirrt.

„Das tut er ja auch. Aber wie gesagt, wir vermitteln nur ...“

„Was käme denn da noch in Fragen?“ Sonja war jetzt einfach nur neugierig geworden.

„Da dürfen wir keine Vorschläge machen, aber ich kann Ihnen versichern, dass von uns vermittelte studentische Aushilfen, ein sehr, sehr breites Angebotsspektrum haben. Wir haben noch nie eine unbefriedigte Kundin zurückgelassen haben.“

„Nein, nein, also wirklich nur strippen“, erklärte Sonja die allmählich eine Vorstellung davon hatte, was die Frau am Telefon meinte und legte auf.


*

Nun sie war nicht die einzige, die wusste was ihren kleinen Kaffeekränzchen heute noch bevorstand. Sonja hatte Hilde eingeweiht. So eine Überraschung konnte sie einfach nicht für sich behalten. Sie musste jemanden einweihen.

Es wunderte sie also nicht, dass Hilde sich mächtig in Schale geschmissen hatte. Es wunderte sie aber, dass auch die anderen sich so zurecht gemacht hatten.

Sonja witterte Verrat. Sie selbst hatte nur unwesentliche drei Stunden im Bad herumgehangen und sich aufgemotzt. Allein die Auswahl ihres Hüfthalters hatte über 20 Minuten gedauert. Sie hatte mindestens drei Modelle anprobiert. Zu lang, nicht stramm genug, zu dezente Farbe. Schließlich war ihr klar geworden, dass es ja nicht sie war, die sich auszog, zumindest nicht, wenn alles planmäßig verlief. Trotzdem: Vorsicht war die Mutter der Porzellankiste. Sie hatte ein Paar nagelneue Nylons angezogen, mit einem schönen samtigen Schillern im Material. Sonja hatte sie selbst mehrfach befühlt und fand sie einfach geil. Geil? Was trieb sie hier eigentlich alles, nur, weil sie erwartete, dass ein athletischer, junger Mann sich beim Kaffeetrinken vor ihr Ausziehen würde.

„Na, Hilke, hast dich aber heute ordentlich zurechtgemacht!?“

„Ach!“ seufzte Hilke. „Mir war da heute irgendwie nach.“ Ihre Lippen glänzten in einem dunklen Bordeaux-Ton, den Sonja noch nie bei ihr gesehen hatte. „Man weiß ja nie, was der Tag so bringt.“

„Ja, ja, ihr wisst es schon, nicht wahr!“

„Was denn?“

„Nööö!“

„Na, dass ich heute ein Überraschung für uns organisiert habe!“

Das breite Grinsen in den Gesichtern ihrer Freundinnen, sprach Bände. Offenbar hatte Hilde es nicht vor ihrer Busenfreundin Hilke verheimlichen können und Hilke nun wieder nicht vor Waltraud. Die trug einen viel zu engen Kunstlederrock, der nur knapp bis zum Knie ginge. Für jemanden der gewöhnlich der Stoffe und Röcke bis zum Knöchel bevorzugte, war es ein untrügliches Indiz.

„Findet ihr meine Waden auch zu dick?“ fragte Waltraud auch prompt.

„Hättest ja einen langen Rock anziehen können!“ rief Hilke.

Alle lachten. Die Stimmung war wirklich gut.

„Hör mal, hast du nicht was Stärkeres?“ fragte Waltraud, als sie an der Kaffeetafel Platz genommen hatte. „Mir ist heute irgendwie danach.“

„Mir auch!“ fiel Hilke ein.

Eigentlich tranken sie den Likör immer erst kurz bevor sich die Runde auflöste, aber selbst Sonja konnte jetzt was Stärkeres gebrauchen.

Sie holte einen Mandellikör aus dem Schrank, der passte schon zur Schwarzwälderkirsch und zur Sicherheit stellte sie noch Weinbrand daneben. Heute würde sie dem wohl dem Weinbrand den Vorzug geben.

Die anderen Damen auch. Sie hatte schon drei Muntermacher intus, als es an der Wohnungstür klingelte.

Totenstille, verschämte Blicke zur Wohnzimmertür.

„Ich geh dann mal öffnen!“

Sonja kam ihrer Rolle als Gastgeberin nach, während im Wohnzimmer getuschelt und gekichert wurde, öffnete sie die Tür.

Ein Bild von einem Mann. Braun gebrannt, athletisch, großgewachsen, jung. Sonjas Stimme war vom Weinbrand schon etwas beschlagen.

„Ich warte aber auf einen Nikolaus!“ krächzte sie.

Der junge Mann zeigte auf die Sporttasche, die er in der linken Hand hielt. „Ich geh, ja jetzt so nicht durch die Straßen.“

„Klar!“

Der junge Mann stand unschlüssig im Flur herum.

„Kann ich mich irgendwo umziehen?“

„Da!“ Sonja zeigte auf die Tür zu ihrem Schlafzimmer. „Wir sind dann da drüben!“

„Gut!“ sagte Sven mit einer herrlich tiefen, männlichen Stimme. „Wir müssten aber noch ...!“

„Oh ja klar!“ sagte Sonja schnell. „Was bekommen Sie?“

„Halbe Stunde 150“, erklärte Seven ruhig. „Das ist bereits mit Anfahrt!“

Sonja nickte stumm und fingerte die Scheine aus ihrem Portemonnaie.

„Wenn Sie Extrawünsche haben, wären das dann 200 pro Stunde“, fügte er sachlich hinzu.

„Was wäre das so ... Nein, nein, ist schon gut, sagen Sie nichts. Wir bleiben erst mal beim Strippen!“

„In Ordnung! Sie können ja jederzeit nachbuchen. Bis 18 Uhr bin ich frei!“ sagte Sven und nahm seine Tasche mit in ihr Schlafzimmer.

Allein der Gedanke, dass der junge Mann sich gerade in ihrem Schlafzimmer auszog, erregte Sonja leicht.


*

„Der muss sich eben noch umziehen!“ erklärte sie den anderen Mädels. „Der kommt dann gleich.“

Sie brauchte nun wirklich nicht mehr sagen, was die Überraschung war. Ihre Freundinnen hockten bereits dicht zusammen und starrten gebannt auf die Wohnzimmertür.

Es dauerte nicht lange und der Nikolaus kam herein. Sven hatte einen eigenen CD-Player dabei, mit seiner Musik. Den stellte auf die Anrichte und dann ging es los. Sonja war Schweißausbrüche gewöhnt. Vor allem seit den Wechseljahren. Aber das hier war angenehmer Schweiß. Ihre Wangen glühten und den drei anderen erging es nicht anders. Sie merkte gar nicht, dass sie fortwährend schrie und albern kreischte.

Sven bewegte sich einmalig. So gefühlvoll, so anschmiegsam. Wenn er in die Nähe der Damen kam und eine von ihnen seine Brustmuskeln betasten durfte war das Gekreische unglaublich.

Vor allem als dann nur moch ein Stofffetzen von Stringtanga seine Männlichkeit bedeckte, war die Spannung kaum auszuhalten. Sonja konnte sich nicht daran erinnern jemals der Tatsache Bedeutung beigemessen zu haben, ob ein Mann sich seiner Unterhose entledigt. Aber war jetzt alles anders.

Alle Regeln waren außer Kraft gesetzt. Und das galt nicht nur für sie. Trotz aller Aufregung, hatte sie sehr wohl mitbekommen, wo Hilke ihre Hand gehabt hatte. Sie hatte unzweifelhaft während Svens Vorstellung masturbiert. Waltraud schnappte so sehr nach Luft, dass sich Sonja unter anderen Umständen ernsthafte Sorgen gemacht hätte. Aber jetzt wollte sie nur noch den Penis von Sven sehen. Der machte es jedoch spannend. Ziemlich spannend, aber dann flog der Fetzen doch und gab den Blick frei auf den schönsten Schwanz den Sonja jemals gesehen hatte. Vielleicht den einzigen schönen Schwanz im Universum.

Früher hatte sich Sonja nie darüber Gedanken gemacht, wie so ein Männerding aussah, jedenfalls nicht ernsthaft. Aber früher hätte sie sich auch nicht ein Bein ausgerissen, um ihn in die Hand zu kriegen. Was war denn los? Sie war ernstlich verärgert, als sie sah, wie der Studentenlümmel die meiste Zeit über von der gierigen Waltraud befummelt wurde.

Die Damen lachten sich die Seele aus dem Leib und Sven beendete die Show abrupt. Das passte so gar nicht zu dem langsamen, quälend langsamen Spannungsaufbau.

„Danke, danke!“ sagte Sven äußerst höflich. „Das hat mir wirklich Spaß gemacht!“

In diesem Moment begriff Sonja, dass das das Konzept war. Sie merkte, wie sie bereit war, jeden Preis für zusätzliche Leistungen zu zahlen und dass sie jetzt auch genau wusste, was sie sich darunter vorzustellen hatte. In Gedanken sah sie einer Vereinigung mit dem angeschwollenen Sven äußerst wohlwollend entgegen.

Doch Sven war schon wieder ins Schlafzimmer verschwunden und die Damenriege kam so langsam wieder zu Atem.

„Das müssen wir öfter machen!“ stellte Hilke fest.

„Machen die auch mehr?“ fragte Waltraud, die offenbar den Weg in Wirklichkeit nicht mehr zurück fand.

„Waltraud!“ schimpfte Hilde. „Wirklich, du kannst doch nicht ...!“

„Was denn ...!“ fuhr Waltraud dazwischen. „Ich bin Witwe und seit fünfzehn Jahren nicht mehr durchgefickt worden. Was denkst du denn ...!?“

Alle schwiegen betreten. Letztlich ging es ihnen ja allen mehr oder weniger ähnlich und keine von ihnen verzichtete jetzt freiwillig darauf den Trieben nachzugeben. Aber schließlich waren sie ja zivilisierte Frauen fortgeschrittenen Altern und ...

„Das musst du mit ihm selbst ausmachen, soweit ich weiß, ist da alle möglich!“ erklärte Sonja in die Stille.

Alle schauten Waltraud fragend an und die stemmte sich in ihrem viel zu kurzen und viel zu engen Kunstlederrock aus dem Sessel und stand auf.

„Ihr könnt ja denken, was ihr wollt. Aber ich brauch es jetzt einfach.“

Keine der andern Frauen sagte etwas. Alle dachten das gleiche. Warum habe ich mich das jetzt nicht getraut.

„Kann ich in deinem Schlafzimmer ...“, fragte Waltraud verunsichert.

„Klar!“ sagte Sonja. „Ich beziehe die Betten nachher neu.“

Dann trat eine endlose, peinliche Stille ein. Wie auf Kommando nahmen die drei zurückgebliebenen Damen einen doppelten Weinbrand auf Ex und lauschten.


*

Was die Damen hörten war aber nicht das, womit sie gerechnet hatten. Von lustvollem Stöhnen, auf das sie alle sich heimlich gefreut hatten war nichts zu hören. Stattdessen hörten sie Sven hysterisch schreien. Und da schwang nichts von Lust in seiner Stimme mit. Es war mehr ein Schrei nach Hilfe.

Die drei Damen im Wohnzimmer sahen sich irritiert an und beschlossen dann doch lieber mal nach dem Rechten zu sehen.

Als sie die Schlafzimmertür öffneten, sahen sie wie Waltraud rittlings auf dem nackten Sven saß und ihn ohrfeigte. Wieder und wieder.

„Du kleines Arschloch!“ schrie sie.

„Was ist?“ fragte Hilke. Womöglich hatte er Waltrauds Angebot abgelehnt. Vielleicht weil sie 40 Kilo zu viel auf den Rippen hatte.

Aber das war es nicht.

„Die kleine Sau hat versucht deinen Schmuck zu klauen!“ rief Waltraud außer sich. „Als ich hier reinkam, hab ich ihn erwischt, wie er mit beiden Händen in deiner Schmuckschatulle war!“

„Was?“ Sonja schaute zu ihrer Schminkkommode. Die Schmuckschatulle stand offen und auf dem Boden lagen etliche ihrer Ringe und Perlen von ihrer Lieblingsperlenkette.

„Was machen wir jetzt?“ wollte Hilke wissen. „Die Polizei rufen?“

„Und ihr dann erklären, warum hier ein nackter Mann, die Schmuckschatulle ausräumen wollte?“

„Ja, das wird peinlich.“

Sonja konnte dazu gar nichts sagen. Sie war sprachlos. Das war doch so ein netter Student gewesen.

„Da seid ihr alten Schachteln doch selbst schuld!“ behauptete Sven. „Ich muss 100 Euro für die Vermittlung zahlen, wenn Ihr zu geizig für Extras sei, gehe ich hier mit lächerlichen fünfzig Euro raus!“

„Gutes Argument!“ sagte Hilke trocken. „Aber nicht unser Problem!“

„Tatsache ist doch, dass wir alle kein Interesse haben, die Polizei zu rufen“, stellte Hilde sachlich fest.

„Jetzt hört aber auf!“ schrie Waltraud die anderen an. „Helft mir endlich und haltet das Schwein fest.“

Sven hatte zwar einen gut durchtrainierten Körper, aber gegen vier entschlossene, übergewichtige Frauen hatte auch er keine Chance. Die Frauen nagelten ihn förmlich auf Bett.

„Was hast du vor?“ fragte Hilke, als sie sah, wie Waltraud sich die Strumpfhose herunterzog.

„Ich hole mir von diesem kleinen Dieb, was mir zusteht und zwar ohne dafür zu bezahlen.“

Sie hatte das kaum gesagt, da saß sie auch schon wieder auf ihm und diesmal ertönten die Geräusche, die Sonja ursprünglich mal erwartet hatte.

Sonja war nicht sicher, ob sie genug Brandy im Haus hatte, um zu vergessen was hier gerade vor sich ging. Sie hatte die Flasche geholt und reichte sie wortlos reihum, während sie zusahen, wie Waltraud fünfzehn orgasmusfreie Jahre freisetzte.

Ob, sie das gut finden sollte oder nicht, wusste Sonja nicht, aber als Waltraud abstieg und Hilde mit dem Satz: „Wenn schon, denn schon.“ dort weitermachte, wo Waltraud eben aufgehört hatte, war ihr klar, das auch sie heute nicht als Einzige unbefriedigt einschlafen würde.

Gläser gab es nicht, die Damen nahen reihum tiefe Schlucke aus der Flasche, denn so wirklich wohl war wohl keiner von ihnen bei der Sache. Aber die Mischung aus Alkohol, Anheizen und das Bedürfnis Gerechtigkeit für den versuchten Diebstahl walten zu lassen, entfesselte die Frauen von jedem moralischen Zweifel. Das hier war ihr gutes Recht. Dieser Sven hatte es doch gar nicht anders gewollt.

Als die Frauen mit Sven fertig waren, konnte er es zu seinem nächsten Termin gerade noch schaffen. Die Damen wünschten ihm noch viel Glück dabei. Sie selbst hatten nicht nur einen kleinen Schwipps, sondern war auch leicht kribbelnde Unterleibe, die ihnen allen klar machten, dass sie nun für alle Zeiten etwas teilen würden, was sie noch weiter enger zusammenschweißte, als die letzten 20 Jahre Freundschaft.

„Jetzt sind wir Nuttenpreller, oder?“ stellte Waltraud unsicher fest. Die andern nickten.

„Ja, jetzt sind wir gottverdammte Nuttenpreller!“ kreischte Hilke lachend. Und alle stimmten mit ein.

„Darauf trinken wir noch einen!“ stellte Sonja säuselnd fest und war mit ihrem Adventskränzchen vollauf zufrieden. Das war der Beste seit Jahren geworden. Allerdings fürchtete Sonja sich ein bisschen vor den zukünftigen Adventskränzchen. Sie fürchtete hier etwas begonnen zu haben, dass sich verselbständigen könnte.


Strip a Claus (122) - © Copyright bei Ingolf Behrens, Hamburg, 2012. Alle Rechte vorbehalten.